Das Schlimmste, was einem passieren kann

TRIER. Auch einem Tag nach dem Familiendrama in der Eifel herrscht Fassungslosigkeit. Warum bringt ein Vater sich und seine Kinder um? Darüber sprachen wir mit dem Kölner Psychologen und Trauma-Experten Christian Lüdke.

Ein Mann, der seine Kinder umbringt leidet häufig unter Wahnvorstellungen: "Sie haben eine völlig falsche Wahrnehmung der Realität", erklärt Christian Lüdke. Der 43-Jährige Psychotherapeut ist Experte für die Behandlung von Gewalt-, Kriminalitäts- und Unfallopfern. Vor allem in Beziehungskonflikten etwa bei anstehenden Trennungen würden die Kinder häufig instrumentalisiert. Das Töten der Kinder soll, so Lüdke, eine Bestrafung der Frau, "eine völlige Vernichtung", sein. Die Psychologen sprechen in solchen Fällen von einem erweiterten Suizid: "Diese Väter glauben häufig, ihre Kinder vor einer Welt zu beschützen, in der sie selbst nicht haben überleben können." Der Trauma-Experte geht davon aus, dass die meisten Familiendramen aus über lange Zeit gestörten Beziehungen resultieren: Eifersucht und Trennung sind häufige Auslöser solcher Tragödien. Die wenigsten Täter handelten wirklich aus Affekt: "Man wird nicht über Nacht zum Familienmörder." Die so genannte Impuls-Kontrollsteuerung setze bei diesen Vätern aus. "In dem Moment, wo ein Vater auf sein Kind einsticht oder schießt, würde normalerweise jeder aus dem Affekt aufwachen. Diese Vätern handeln regelrecht im Wahn." Häufig gebe es Warnzeichen vor einer solchen Wahnsinnstat. Viele Täter zögen sich vorher auffällig zurück, sie verstummten, würden sonderbarer und schwer ansprechbar. Oder aber sie werden aggressiv, sie kündigen quasi die Tat versteckt an, etwa mit Aussagen wie: "Wenn du das tust, dann passiert was." Sie fühlten sich hilflos, sähen keinen Ausweg aus ihrer Situation. Männer seien weitaus häufiger als Frauen die Täter bei Familiendramen. In acht von zehn Fällen würden Väter zu Mördern: "Meistens führt eine depressive Grundstimmung zu der Katastrophe", glaubt der Psychotherapeut. Was aber geht möglicherweise in einer Frau, der Mutter ermordeter Kinder, vor? Sie hat mit einem Mal ihre komplette Familie verloren. Schuldgefühle seien die Folge. Immer wieder würden sich die Betroffenen fragen: "Warum hat er meine Kinder und nicht mich umgebracht?" oder "Warum konnte ich es nicht verhindern?" Fragen, auf die es aber keine Antwort geben wird. "Es ist das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann: Seine eigenen Kinder zu verlieren und zwar durch einen Mord. Jemand, der so etwas erlebt hat ist nicht zu trösten. So etwas kann man auch nicht behandeln oder heilen", weiß Lüdke. Erst nach Jahren könnte es sein, dass eine Frau möglicherweise wieder einen Sinn in ihrem Leben sieht. Die Betroffenen bräuchten vor allem eines: Leute - Freunde, Verwandte - mit denen sie reden können, die ihnen Hoffnung geben, sie von ihren Schuldgefühlen befreien, ihnen klar machen: "Du hättest es nicht verhindern können." Das, so Lüdke, sei wichtiger als ein Psychologe.

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