Das stille Sterben des Sun Hudson

Houston. Hatte sich US-Präsident Bush noch vehement für die Koma-Patientin Terri Schiavo eingesetzt, so musste kürzlich ein kleiner Junge sterben, weil 1999 der damalige Gouverneur Bush ein Gesetz unterzeichnete, das Kliniken das Abstellen lebenserhaltender Maßnahmen erleichtert.

Als der fünf Monate alte Sun Hudson am 15. März dieses Jahres seinen letzten Atemzug tat, standen vor dem Kinder-Hospital im texanischen Houston weder Demonstranten noch Fernsehkameras. Anders als im Fall Terri Schiavo gab es auch keine Stellungnahme des Präsidenten oder den Versuch des US-Kongresses, mit einem Eilgesetz die künstliche Beatmung des kleinen Jungen weiterzuführen. Und: Sun Hudson war ein Kind, dessen Gehirn - anders als bei Terri Schiavo - noch voll funktionsfähig war. Der Junge litt an einem unheilbaren genetischen Defekt, der zu Zwergenwuchs führt und aufgrund stark unterentwickelter Lungen fast immer irgendwann tödlich endet. Seine Mutter Wanda, eine von Sozialhilfe lebende alleinerziehende Farbige, kämpfte bis zum letzten Tag um das Leben ihres Sohnes: "Bitte gebt ihm Zeit, sich zu entwickeln." Doch ihr Appell stieß auf taube Ohren. Die Ärzte und Verwaltungsbeamten des Kinderkrankenhauses von Houston entschieden gegen den Willen der Mutter, den Beatmungsschlauch zu entfernen und damit auch eine Behandlung zu beenden, die für die Klinik nur Kosten, aber keine realistische Heilungschance versprach. 60 Sekunden dauerte nach offiziellen Krankenhausangaben der Todeskampf des Kindes, dann war Sun Hudson in den Armen seiner Mutter erstickt. "Er hat gestrampelt und wollte unbedingt leben," beschreibt sie seine letzte Minute. Die Kinderklinik hatte damit erstmals von einem bisher wenig bekannten Gesetz Gebrauch gemacht, das im Jahr 1999 ausgerechnet jener Gouverneur unterzeichnet hatte, der sich vor wenigen Tagen noch als US-Präsident massiv für die Koma-Patientin Terri Schiavo und eine Wiederaufnahme ihrer künstlichen Ernährung stark gemacht hatte: George W. Bush. Dieses Gesetz ermöglicht es dem so genannten "Ethik-Ausschuss" eines Krankenhauses, bei entsprechenden Empfehlungen der behandelnden Ärzte auch gegen den Willen der Eltern oder Bevollmächtigten des Patienten lebenserhaltende Maßnahmen einzustellen. Den Angehörigen muss allerdings zuvor die Option gegeben werden, den Kranken in ein anderes Hospital verlegen zu lassen. Doch Wanda Hudson hatte diese Möglichkeit nicht. Innerhalb der vom Kinderkrankenhaus gesetzten Zehntagesfrist wurden rund 40 andere Hospitäler kontaktiert, doch keines war bereit, dem Wunsch der Mutter nach weiterer Pflege zu entsprechen. Ein von ihr noch angerufenes Gericht gab der Klinikleitung Recht: Hier werde auf der Grundlage des vom damaligen Gouverneur verabschiedeten Gesetzes gehandelt. Der Versorgungsleistende habe nachvollziehbar argumentiert, so das Gericht, dass von einer Fortsetzung der Beatmung niemand profitiere. Eine Aussage, die Wanda Hudson, aber auch neutrale Beobachter nicht nachvollziehen können: "Wie kann man sagen, dass eine künstliche Beatmung unsinnig ist, wenn sie das Kind in den letzten Monaten am Leben gehalten hat?", fragt jetzt beispielsweise auch der Kommentator der Tageszeitung "Houston Chronicle". Der Versuch der Mutter, die Medien für das Schicksal ihres Sohnes zu interessieren, scheiterte. Erst nach dem von der Krankenhaus-Bürokratie verordneten Erstickungstod von Sun Hudson und dem Ende des Schiavo-Dramas in Florida griffen jetzt einige wenige US-Medien den Fall auf. "Wanda Hudson hatte kein Geld, keine Arbeit, keine politischen Verbindungen und war auch noch eine Farbige", urteilt der Ethik-Experte Larry Jones. "Damit war ihr Sohn ein Niemand."

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