Datensammler halten reiche Ernte

Schlagzeilen zur Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung werden in diesen Tagen zweifellos von Wolfgang Schäuble bestimmt. Erst machte sich der Bundesinnenminister für eine Ausweitung der Rasterfahndung stark. Dann forderte der CDU-Politiker heimliche Online-Durchsuchungen. Sein jüngster Vorstoß galt dem erleichterten polizeilichen Zugriff auf digitale Passbilder und Fingerabdrücke.

Berlin. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) ist über den harschen Kurs ihres Kabinettskollegen wenig erbaut: Es falle ihr schwer, bei Schäuble "klare Konturen zu sehen". Die ganze Diskussionslage sei doch "etwas wirr geworden", klagte Zypries gestern vor Pressevertretern in Berlin. Offenbar galt ihre Sorge einem eigenen Gesetzentwurf, der aber nichts mit Schäubles Sicherheitsoffensive gemein habe, wie Zypries versicherte. In der vom Kabinett verabschiedeten Vorlage geht es um eine Ausweitung der Telefon- und Internetüberwachung. Damit kommt Zypries einer entsprechenden EU-Richtlinie nach. Demnach sollen sämtliche Telefon- und Internetverbindungsdaten künftig für ein halbes Jahr bei den Anbietern gespeichert werden. Das gilt auch für Firmen, die eine Flatrate offerieren und für den Gebühreneinzug deshalb keine Einzelverbindungen mehr aufbewahren. Bislang entscheiden die Unternehmen selbst, wie lange sie ihre Daten etwa zur Prüfung von Abrechnungsfehlern speichern. Für ihre nachträglichen Ermittlungen stehen sie den Sicherheitsbehörden daher oft nicht mehr zur Verfügung. Registriert wird, wer wann mit wem telefoniert. Bei Handy-Verbindungen wird außerdem der anfängliche Standort gespeichert. Beim Internet werden Daten über den Zeitpunkt des Zugangs und Internet-Telefonie sowie E-Mail-Adressen erfasst.Koalitionsstreit noch nicht ausgestanden

Der Inhalt von Gesprächen sowie die konkret aufgerufenen Internetseiten sollen dagegen tabu bleiben. Alle Daten werden grundsätzlich verdachtsunabhängig gespeichert. Für den polizeilichen Zugriff auf das elektronische Material muss jedoch ein Richter grünes Licht geben. Dies kann nur zur Aufklärung schwerer Straftaten wie zum Beispiel Menschenhandel, Kinderpornografie oder Vergewaltigung erfolgen. "Wir führen keinerlei neue Ermittlungsmaßnahmen ein", betonte Zypries. Stattdessen würden die Möglichkeiten der Bürger verbessert, nachträglich die Rechtmäßigkeit von verdeckten Ermittlungen juristisch überprüfen zu lassen. Unter den Fachpolitikern der großen Koalition ist der Gesetzentwurf unstrittig. Nach einer Übersicht des Justizministeriums kam es im Jahr 2005 zu 4925 Strafverfahren mit Telefon- und Internetüberwachung. Betroffen waren 12 606 Personen. Im Vergleich zum Jahr 1999 hat sich diese Zahl nahezu verdoppelt. Datenschützer kritisierten denn auch die Speicherung auf Vorrat. "99,999 Prozent der gesamten Bevölkerung werden erfasst, nur um eventuell irgendwelche Straftaten erfassen zu können", bemängelte der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert. Für den Bundesinnenminister ist der Grundsatz der Unschuldsvermutung kein Heiligtum. Zypries merkte dazu an, dass die Unschuldsvermutung ohnehin nicht bei der Gefahrenabwehr gelte. Doch müsse auch hier das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Fazit: Der Koalitionsstreit bei der Terrorismusbekämpfung ist noch längst nicht ausgestanden.

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