Debakel für Obama

Es gab nichts zu feiern für US-Präsident Barack Obama. Ausgerechnet zum Dienstjubiläum im Weißen Haus verpassten ihm die Wähler in Massachusetts einen Denkzettel, der sich gewaschen hat.

Washington. So hatte sich US-Präsident Barack Obama sein Jubiläum nicht vorgestellt. "Ein verheerender Schlag", kommentierte gestern die "Washington Post" das, was vor wenigen Wochen noch undenkbar schien: den Verlust des Senatssitzes, den fast fünf Jahrzehnte der im Juli 2009 an einem Gehirntumor verstorbene Ted Kennedy innegehabt hatte, an die Republikaner.

In ihrer Bewertung sind sich führende US-Medien und Beobachter weitgehend einig: Die Machteinbuße im 100-köpfigen Senat, in dem nun die Republikaner wieder über 41 Stimmen verfügen und somit durch Endlosdebatten ("Filibuster") Projekte der Demokraten auf Eis legen können, gefährdet nicht nur die endgültige Verabschiedung der für Obama so wichtigen Gesundheitsreform. Der Verlust des so wichtigen 60. Sitzes zwingt das Weiße Haus auch zu einer generellen Neubewertung der bisherigen Politik, dessen Kern die Annahme war, die US-Bürger würden - wie bei der Einführung der Krankenversicherungspflicht für die meisten Amerikaner - einen stärkeren staatlichen Einfluss auf das tägliche Leben akzeptieren.

Besonders schmerzhaft für den Präsidenten: Die Zahl der registrierten Demokraten ist in Massachusetts dreimal so hoch wie die der Republikaner. Dass dennoch der konservative Bewerber Scott Brown, ein erklärter Gegner der Gesundheitsreform und Befürworter harter Antiterror-Maßnahmen wie des "waterboarding", die Demokratin und Generalstaatsanwältin Martha Coakley mit 52 zu 47 Prozent ausstechen konnte, ist ein Debakel für Obama. Selbst in der Gemeinde Cape Cod, wo der liberale "Löwe" Ted Kennedy einen Landsitz hatte, stimmte die Mehrheit für den Überraschungssieger Brown. Viele Projekte des Weißen Hauses, vom Klimaschutz über ein neues Einwanderungsgsetz bis hin zur Reform des Krankenversicherungs-Systems, "hängen nun wie in einer Intensivstation am Tropf", kommentiert der frühere Präsidentenberater Michael Gerson in der "Washington Post".

So wie Obama vor einem Jahr "Wandel in Washington" versprach und sich nun mit einer Serie von Krisen und stark gesunkenen Zustimmungsquoten konfrontiert sieht, so propagierte auch der Wahlsieger Brown "change", also Wandel. Und nutzte - wie Obama während seiner Kampagne - vor allem das Internet für seine Werbung, Twitter inklusive. Die Vorwürfe gegenüber dem Weißen Haus: Die Ausgabenpolitik sei eine für die nächsten Generationen nicht zu bewältigende Erblast, und der Präsident nutze die Wirtschaftskrise zur ungehemmten Ausbreitung staatlichen Einflusses. Vor allem die Wähler-Mitte zeigte sich von der Rhetorik Browns angetan. Der stieß, so sieht es das "Wall Street Journal", damit in eine offene Wunde Obamas: "Die Demokraten haben den klassischen Fehler begangen, ideologisch ihre Karten zu überreizen." Liberale Demokraten interpretierten den Sieg bei der Präsidentenwahl nun als Mandat dafür, das Land in einen Berechtigungsstaat umzuwandeln, in dem der Staat "von der Wiege bis zum Grab alles regelt", argwöhnt die Zeitung.

Obamas erste Aufgabe wird es nun sein, die Gesundheitsreform doch noch zu retten. Dabei wird unter Demokraten bereits über Verfahrenstricks wie eine Verzögerung der Senatsbestätigung für Brown spekuliert - oder die Verabschiedung einer stark abgespeckten Gesetzesversion. Doch die Republikaner sind seit Dienstagnacht ihrem wichtigsten Vorhaben näher gekommen: Obama vor den Kongress-Zwischenwahlen im November ein politisches "Waterloo" zu bereiten. Und mancher verunsicherte demokratische Volksvertreter hegt bereits Zweifel am bisherigen Kurs: "Wenn so viele Menschen gegen die Gesundheitsreform sind," so Tim Weiner, "sehen wir doch unsere Grenzen."

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