Denkzettel-Wahl

Schenkt man dem parteioffiziellen Selbstbild Glauben, dann war das Europa-Treffen in Saarbrücken ein weiter Meilenstein beim unaufhaltsamen Aufstieg der FDP. In Wahrheit fangen die Liberalen im neuen Jahr ganz unten an. Möllemanns Freitod wirft immer noch Schatten, und die aktuelle Debatte über die wirtschaftliche und soziale Zukunft des Landes findet praktisch ohne die Blau-Gelben statt. Selbst die traditionelle Dreikönigs-Show Anfang Januar war nicht wirklich ein Befreiungsschlag. Auch die anderen Parteien setzen sich mittlerweile mediengerecht zum Jahresauftakt in Szene. Für die Liberalen blieb nur die Botschaft: Wir sind auch noch da. Um wieder wer zu sein, käme ein Erfolg bei der Europa-Wahl gerade Recht. Schon seit zehn Jahren sind Brüssel und Straßburg freidemokratisches Niemandsland. Sollte es auch nach dem 13. Juni dabei blieben, dann lag es nicht am Europa-Parteitag in Saarbrücken. Dort zeigten sich die Delegierten nicht nur erstaunlich geschlossen, sondern auch entschlossen, dem liberalen Trübsinn ein Ende zu bereiten. Die Chance der FDP liegt zweifellos in der Reformdiskussion. Der Frust über die Zumutungen ist groß. Gelingt es dem Parteichef, den europäischen Urnengang in den Köpfen als Denkzettel gegen Rot-Grün umzudeuten, hätten die Liberalen keine schlechten Karten. Auch die anschließenden vier Landtagswahlen stünden dann unter einem günstigeren Stern. Westerwelles Strategie, die FDP wieder als einzig wahre Reformpartei zu positionieren, kann allerdings auch ins Auge gehen. Nach ihren radikalen Vorstellungen müssten Patienten und Rentner nämlich mit weitaus härteren Belastungen rechnen. Wer den Denkzettel wirklich bekommt, ist noch nicht ausgemacht. nachrichten.red@volksfreund.de

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