Der Atom-Bluff

WASHINGTON. (die) Den USA fehlt für einen Einsatz gegen unterirdische Waffenbunker im Irak die geeignete "Mini"-Atombombe. Der Einsatz des derzeitigen Arsenals könnte dagegen Hunderttausende von zivilen Opfern fordern.

Während zeitgleich zur Veröffentlichung des Berichts der UN-Waffeninspekteure das US-Außenministerium bereits am Entwurf einer zweiten Resolution feilte, mit der der Einsatz von Gewalt gegen den Irak legitimiert werden soll, stellt sich die Öffentlichkeit die Frage: Wie ernst ist die bisher massivste Drohung des Weißen Hauses zu nehmen, im Kriegsfall sogar Atombomben einzusetzen? Präsident Bushs Stabschef Andrew Card hatte diese Option nicht ausgeschlossen ­ für den Fall, dass Saddam Hussein gegen US-Truppen Massen-Vernichtungswaffen einsetzt. Vieles spricht dafür, dass es sich bei dieser Ankündigung um einen Bluff handelt, um die Wahrscheinlichkeit des Gebrauchs chemischer oder biologischer Waffen auf irakischer Seite zu verringern. Denn will Bush tatsächlich den Befehl zum Einsatz der "A"-Bombe geben, stößt er auf ein Problem: Die für den Abwurf von B-2-Bombern vorgesehenen nuklearen Sprengsätze sind für die Zerstörung von vermuteten unterirdischen Lagern irakischer Massenvernichtungswaffen ungeeignet."Super-Bomben machen keinen Sinn"

Der Großteil der US-Atombomben verfügt nämlich über eine Sprengkraft von bis zu 475 Kilotonnen. Zum Vergleich: Die von den USA in Hiroshima eingesetzte Bombe hatte gerade einmal zwölf Kilotonnen. "Diese Super-Atombomben würden tausende von Tonnen hoch radioaktiver Trümmer und Staub aufwirbeln und zu hohen zivilen Verlusten führen", hat der Atomwissenschaftler David Wright errechnet. "Sie machen deshalb für einen begrenzten Einsatz gegen unterirdische Bunker keinen Sinn." Die einzige mit niedrigerer Sprengkraft ausgestattete Atombombe ist der Bombentyp B 61. Ihre Detonationswirkung reicht von 0,3 bis 170 Kilotonnen. Doch Tests haben ergeben: Diese Bombe schafft es selbst bei einem Abwurf aus 14 000 Metern Höhe nur, gerade einmal sieben Meter in die Erde einzudringen.Enorme Strahlenbelastung, zehntausende Opfer

Dies schließt nicht nur eine wirksame Zerstörung irakischer Bunker aus, die teilweise über 60 Meter tief unter Felsen und Beton sitzen sollen, sondern würde auch wegen der niedrigen Tiefe der Explosion für eine enorme Strahlenbelastung der umliegenden Regionen sorgen. Aufgrund dieser Problematik steht für den Nuklearphysiker Robert Nelson von der Princeton-Universität fest: "Das Ziel einer ,guten' Atombombe, die sich tief in die Erde frisst und damit den Fallout begrenzt, ist physikalisch nicht zu verwirklichen." Bereits eine kleine Bombe von nur einer Kilotonne würde nach seinen Berechnungen mehrere Quadratkilometer massiv verstrahlen und zehntausende Opfer fordern. In Expertenkreisen nimmt man an, dass auch das Weiße Haus insgeheim die Grenzen der Atom-Möglichkeiten erkannt hat ­ und im Ernstfall deshalb vor der Gewissensfrage stünde: Soll eine der überdimensionierten "Super"-Atombomben eingesetzt werden und damit der Tod von möglicherweise hunderttausenden Zivilisten in Kauf genommen werden?

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