Der Atomstreit spaltet den Bundestag

Das nennt man wohl Vorwärtsverteidigung. Angela Merkel hat schon in ihren eigenen Reihen Probleme, den neuen Kurs gegenüber der Kernenergie zu erklären. Erst recht bei der Opposition. In ihrer Regierungserklärung zur Lage in Japan sucht die Kanzlerin ihr Heil daher in der Attacke.

Berlin. Es geht hoch her im Bundestag, obwohl Merkel getragen beginnt - mit einer langen Passage über das Leid der japanischen Bevölkerung. Da klatschen noch alle. Aber als die Kanzlerin sagt, für die beschlossene vorübergehende Stilllegung von sieben Atomanlagen in Deutschland und die Sicherheitsüberprüfung aller Meiler gebe es einen herausragenden Grund, ruft ein Oppositionspolitiker in die kurze Kunstpause der Rednerin hinein: "Die Wahlen".

Die linke Hälfte des Parlaments lacht. Solche Anspielungen auf den Urnengang in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz als ihr Handlungsmotiv findet die Kanzlerin "absolut respektlos". Sie wirkt echt angefressen. "Ihr Verhalten ist an Niveaulosigkeit nicht zu überbieten", sagt sie. Solche Schärfe ist bei ihr selten.

Merkels Argumentation ist, verglichen mit dem, was noch vor ein paar Monaten galt, als sie die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke begründete, ein rhetorischer Ritt auf der Rasierklinge. Japan habe gezeigt "dass selbst das absolut Unwahrscheinliche Realität werden kann", sagt sie. Die beschlossene Sicherheitsüberprüfung sei daher "Ausdruck äußerster Vorsorge" und notwendig, auch wenn die deutschen Kraftwerke zu den sichersten in der Welt gehörten. Deutschland könne weiterhin nicht auf die Atomenergie als Brückentechnologie verzichten, aber sie wolle einen "Ausstieg mit Augenmaß". Hier wäre mancher in der Opposition vielleicht noch mitgegangen, wenn Merkel nicht behauptet hätte, ihre jetzigen Schritte reichten weiter als der von Rot-Grün beschlossene Atomausstieg, weil jetzt sieben Meiler stillstehen statt nur Neckarwestheim. "Jetzt reicht's mal", ruft Grünen-Fraktionschefin Renate Künast dazwischen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel kritzelt schon während Merkels Regierungserklärung heftig in seinem Manuskript herum. Er habe, sagt er später, eigentlich versöhnlicher sprechen wollen und mit solchen Attacken nicht gerechnet.

Am Pult angekommen, dreht er sich zu Merkel hin, aber die blickt angestrengt in eine andere Richtung. Von den Vorwürfen und Beleidigungen, die Gabriel jetzt, leise vorgetragen, loslässt, ist "Chuzpe" noch die schwächste, "Kumpanei mit der Atomwirtschaft" eine der stärkeren. Auch das Wort "Geisterfahrer" fällt.

Gabriel war in der Großen Koalition Umweltminister unter Merkel und hält ihr nun vor, dass sie persönlich ihn damals angewiesen habe, die Laufzeiten der alten Meiler Biblis A und Neckerwestheim zu verlängern. "Die wären schon weg, wenn Sie nicht mitgeholfen hätten, Sicherheitsmängel zu vertuschen".

Der SPD-Mann ist jetzt kaum noch zu bremsen. Umweltminister Norbert Röttgen halte seit einem halben Jahr das neue "kerntechnische Regelwerk" zurück, den Katalog der neuen Sicherheitsanforderungen, und das mit Billigung der Kanzlerin. "Sie persönlich haben Sicherheit gegen Geld getauscht", ruft Gabriel der Kanzlerin zu.

Es ist in weiten Passagen eine Debatte ums nachträgliche Rechthaben. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagt es sogar direkt. "Verdammt noch mal, ein Wort des Eingeständnisses, warum man so leichtfertig über die Argumente der Gegner der Laufzeitverlängerung hinweggegangen ist, wäre doch angebracht gewesen", donnert er ins Mikrofon. Als Merkel kurz auflacht, sagt Steinmeier: "Da gibt es nichts zu lachen." Zur Erinnerung: Die beiden haben vor zwei Jahren noch in einer gemeinsamen Regierung gesessen und sich respektiert.

Nach vorn geht gar nichts an diesem Tag, außer man nimmt Merkels Wort vom "Vorantreiben der Energiewende" ernst. Das ist schwer, weil sie gleichzeitig die Grünen als "Dagegen-Partei" beschimpft. Aber deren Fraktionschef Jürgen Trittin versucht es trotzdem. Als einziger Redner. Was nach der Atomenergie komme, sagt Trittin, werde unbequem sein für alle. Für die Union, die ihre Blockade der Windenergie aufgeben müsse, aber auch für die Grünen, die den Bau neuer Stromleitungen und Pumpspeicherkraftwerke unterstützen müssten. Und auch bei den Biogasanlagen gehe es nun nicht mehr um das Ob, sondern das Wie. "Wir alle werden uns mit unseren Parteien vor Ort damit auseinandersetzen müssen", sagt Trittin. Einige aus der FDP-Fraktion klatschen überrascht.

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