Der Bierdeckel-Reformer geht

BERLIN. "Nach reiflicher Überlegung” hat sich der CDU-Politiker Friedrich Merz entschlossen, seineÄmter als Präsidiumsmitglied und Fraktionsvize niederzulegen.

Der Prozess des Nachdenkens hat zwei Jahre gedauert: Friedrich Merz‘ Entmachtung als Fraktionschef durch die Parteivorsitzende Angela Merkel 2002 hat der ehrgeizige Sauerländer offenbar nicht verwunden. Die Nachricht vom Rückzug des 48-jährigen Finanzexperten sorgte gesternin Berlin für ein kleines Beben. Zwar wollte er bereits zweimal den Krempel hinschmeißen, doch hatte man in der Union geglaubt, dass sich Merz mit seiner Rolle in der zweiten Reihe abgefunden habe. Parteifreunde, die ihn besser kannten, wussten jedoch um die Tiefe der Verletzung, die seine Degradierung ausgelöst hat. Jetzt, mitten in der großen Krise der Union, zog er die Konsequenzen. Einen "besseren” Zeitpunkt hätte er sich nicht aussuchen können. Just in dem Moment, wo sich die Schwesterparteien in den zentralen Fragen der Gesundheits- und Steuerpolitik schwer zerstritten haben, wo die Umfragewerte rapide sinken und die Parteivorsitzende ins Straucheln geraten ist, wirft Merz hin. Ein Schritt, der seinen Rache-Charakter nicht verleugnen kann, denn einen auslösenden Faktor vermochte Merz in seinem Rücktrittschreiben an Merkel ("Liebe Angela”) nicht zu nennen. Überhaupt fehlt in dem knappen Brief jede Begründung für seinen Rückzug. Auch das Versprechen, als einfacher Abgeordneter Merkels Reformbemühungen in den Bereichen Gesundheit und Steuern "nach Kräften” unterstützen zu wollen, wirkt eher wie eine Höflichkeitsformel. Noch verräterischer seine nachgeschobene Aussage (in der Bildzeitung), er habe keineswegs eine endgültige Entscheidung getroffen und könne sich "manches vorstellen”. Die Reaktionen aus der Union spiegeln Bestürzung wieder - kein Wunder, Finanzexperten sind in ihren Reihen dünn gesät. Auch deshalb überwog das "Bedauern” über eine Entscheidung, die der streitbare Jurist offenbar nur aufgeschoben hatte. Bereits nach seiner Entmachtung 2002 und dann im letzten September (Protest gegen die Gesundheitsreform) hatte ihn die Unionsspitze nur mit flehentlichem Zureden davon abhalten können, sich in die Schmollecke zu verabschieden. Sein möglicher Nachfolger als Fraktionsvize, der finanzpolitische Sprecher Michael Meister, sagte gestern, Merz habe die Union beim Steuerkonzept "sehr viel weitergebracht”. In Wirklichkeit ist gerade dieses Thema einer der Gründe dafür, dass Merz resignierte: Sein radikales Modell, das "auf einen Bierdeckel” passen sollte, hat kaum noch Chancen auf Realisierung. Interessant auch, dass ausgerechnet aus Bayern die lautesten Klagen über den herbstlichen Merz-Schritt kamen. Denn insbesondere die CSU-Spitze (Edmund Stoiber, Horst Seehofer) hat eifrig dazu beigetragen, dass der ehrgeizige Sauerländer keine Perspektive mehr für sich sah. Der eine hatte sich im Kampf um den Fraktionsvorsitz hinter Merkel gestellt, der andere hat fortwährend über die CDU-Kopfpauschale gemäkelt. "Bei allen menschlichen Schwierigkeiten”, sagte Seehofer gestern, sei der Abgang ein herber Verlust für die Union. Auch CSU-Generalsekretär Markus Söder nannte den Rückzug "in höchstem Maße bedauerlich”. Die CDU-Führung müsse alles unternehmen, um einen "Spitzenmann wie Merz einzubinden”. Doch dazu ist es zu spät. Erst nach stundenlangem Schweigen bedauerte Merkel am Abend pflichtgemäß das Ausscheiden ihres schärfsten innerparteilichen Gegners.

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