Der blanke Hans und das "Loch Merkel"

BERLIN. Der Mann hat Nerven. Da prophezeit der Arbeitskreis Steuerschätzung den öffentlichen Haushalten dramatische Einnahmeausfälle. Doch Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) sah gestern in einer ersten Reaktion "keinen Anlass zu Pessimismus".

Der "blanke Hans" greift nach dem Strohhalm: Angesichts der dramatischen Steuerschätzung verweist Finanzminister Hans Eichel (SPD) auf neueste Angaben des Statistischen Bundesamtes. Danach hat das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal unerwartet um ein Prozent zugelegt. Eichel wertete diese Botschaft als Beleg für den wirtschaftspolitischen Realismus der Regierung. "Es gibt Risiken, aber auch Chancen", betonte er.Geschönte Vorhersagen, ungeplante Ausgaben

Der Mainzer Finanzwissenschaftler Rolf Peffekoven rät bei der frohen Kunde aus Wiesbaden allerdings zur Vorsicht. "Die günstige Entwicklung wurde fast ausschließlich vom Export getrieben. Doch gerade auf Exporte gibt es keine Mehrwertsteuer." Dagegen sei die für das Umsatzsteueraufkommen maßgebliche Binnenwirtschaft nach wie vor schwach ausgeprägt. Laut Schätzerkreis nehmen Bund, Länder und Gemeinden 2005 zwar insgesamt 2,2 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr ein. Nach den früheren Prognosen ist das aber viel zu wenig. Im laufenden Jahr klafft deshalb eine Lücke von 5,1 Milliarden Euro. Der Bund muss davon 3,5 Milliarden verkraften. Bis Ende 2008 summieren sich die Mindereinnahmen für Bund und Länder auf 66,8 Milliarden Euro. Die Ursache für den außergewöhnlichen Einbruch sieht Peffekoven in den unrealistischen Wachstumsvorhersagen der Regierung, auf deren Grundlage der Schätzerkreis seine Prognosen erstellt. Doch den Kassenwart der Nation plagen nicht nur geschönte Wachstumsvorhersagen. Auch die Ausgaben drohen Eichel davon zu laufen. Er selbst verwies gestern auf Mehrbelastungen bei der Hartz-Reform, die sich "im mittleren einstelligen Milliardenbereich" bewegen könnten. Bis einschließlich April hatte die Bundesagentur für Arbeit bereits mehr als 7,3 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II verausgabt. Ginge die Entwicklung so weiter, wären bis zum Jahresende weit über 20 Milliarden Euro erforderlich. Eichel hat dafür aber nur knapp 15 Milliarden Euro im laufenden Etat eingeplant. Trotzdem macht ein von der Opposition geforderter Nachtragshaushalt für Eichel "aktuell keinen Sinn". Genauere Daten ließen sich "erst im weiteren Jahresverlauf abschätzen". Nach Einschätzung Peffekovens begeht der SPD-Politiker damit den gleichen Fehler wie schon in den Jahren zuvor. Eichels Zögerlichkeit führe dazu, dass der Nachtragshaushalt erst im November oder Dezember vorgelegt werde. "Dann kann man an den Ausgaben natürlich nichts mehr kürzen." Die geplante Kreditaufnahme von 22 Milliarden Euro wolle er für 2005 dennoch halten, sagte Eichel - auch wenn das "immer schwieriger" werde. Als "Königsweg" sieht der Minister den Abbau von Subventionen. Das geht nicht ohne den unions-dominierten Bundesrat. Mittlerweile blockiere die Opposition einen Abbau von Vergünstigungen in Höhe von 17 Milliarden Euro. Er rede "nicht vom Loch Ness , sondern vom Loch Merkel", klagte Eichel. Bis zur Bundestagswahl dürfte sich daran nichts ändern. Die Union übte sich gestern in gewohnter Polemik. Rot-Grün stehe mit der Steuerschätzung vor einem "finanzpolitischen Scherbenhaufen", befand CSU-Landesgruppenchef Michael Glos.

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