Der brave Soldat Franz

BERLIN. Es tut sich einiges in der SPD: Parteichef Gerhard Schröder übergibt die Leitung der Sozialdemokraten an Franz Müntefering. Generalsekretär Olaf Scholz macht den Weg für einen neuen Parteimanager frei.

Gerhard Schröder war schon immer für Überraschungen gut. Der Kanzler neigt zu spontanen Reaktionen, vor allem in scheinbar ausweglosen Situationen. Dass er jetzt, angeblich nach reiflicher Überlegung, den Parteivorsitz der SPD an Fraktionschef Franz Müntefering weitergeben will, hat die politische Kaste in Berlin, die sonst jeden Grashalm wachsen hört, dennoch verblüfft. Und die Opposition in Entzückung versetzt: Sie forderte flugs Neuwahlen. Bis zuletzt war es der SPD-Spitze gelungen, den mehrfach angedachten, aber erst am Donnerstagabend eingefädelten Coup geheim zu halten. Als Schröder und Müntefering dann am Freitagnachmittag vor die Presse traten, war die Nachricht zwar schon im Umlauf, aber noch nicht begründet. Dies holte Schröder dann nach - mit schwer nachvollziehbaren Argumenten. Wolkig sprach er von "einem der wichtigsten Reformprozesse der Nachkriegsgeschichte", der mit "besonderen Vermittlungsproblemen" verbunden sei, und der deshalb die Notwendigkeit einer "Arbeitsteilung" hervorgerufen habe. Diese Frage hätten "Franz Müntefering und ich seit längerer Zeit diskutiert", sagte der Kanzler. Er fügte hinzu, das Amt "gerne ausgeführt" zu haben und "ungern aufgeben" zu wollen. Dabei wirkte er aber nicht traurig, sondern eher erleichtert. Dass nach der dramatischen Entwicklung der letzten Tage, in der sich der anschwellende Unmut der Basis in den Medien breit gemacht hatte, etwas passieren würde, war allgemein erwartet worden. Denn so wie bisher, meinte der saarländische SPD-Vorsitzende Heiko Maas, "konnte es nicht weiter gehen". Ruf nach personellen Konsequenzen aus der SPD

In den Tagen zuvor hatten vor allem die Landesvorsitzenden Wolfgang Jüttner (Niedersachsen) und Andrea Ypsilanti (Hessen) personelle Konsequenzen angemahnt aufgrund der Tatsache, dass die Partei in den Umfragen auf das Rekordtief von 24 Prozent abgesackt ist. Jüttner hatte eine Umbildung des Kabinetts gefordert. Davon wollte der Kanzler aber (noch) nichts wissen. Vor der Presse wies er am Freitag wortreich entsprechende Spekulationen zurück, doch fiel aufmerksamen Beobachtern auf, dass er eine Umbildung nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat. Immerhin ließ sich Schröder auf Nachfrage zu der Aussage hinreißen, die "kommunikative Disziplin" im Kabinett müsse besser werden, sagte er. Und er fügte drohend hinzu: "Sonst muss gehandelt werden." Jetzt hat er gehandelt, und der brave Parteisoldat Müntefering, der dem Kanzler und Vorsitzenden bereits an verschiedenen Stellen gedient hat, profitiert davon. Parteivorsitzender der großen SPD zu werden, daran habe er "nie gedacht", sagte Müntefering. Aber er freue sich auf das "schönste Amt neben dem Papst", sagte der künftige Parteichef. Doch mit dieser Episode war der Vorrat an Frohsinn auch schon erschöpft. Ernst wies Müntefering auf die "Verantwortung (der Partei) für die Erneuerung der Gesellschaft" hin, und appellierte an die Genossen, "nicht den Rückwärtsgang" einzuschalten. Opposition sollten "die anderen machen, und nicht wir". Schröders Entscheidung hatte auch Auswirkungen auf SPD-Generalsekretär Olaf Scholz, der seit geraumer Zeit als Reizfigur gilt und von vielen Parteifreunden zum Sündenbock gestempelt wurde. Scholz, seit Mittwoch grippekrank in seiner Heimatstadt Hamburg, teilte dem Kanzler telefonisch den Verzicht auf sein Amt mit. Er machte damit den Weg frei für einen neuen Parteimanager, den Schröder und Müntefering am Freitag aber noch nicht nennen wollten. Favorit für den medienträchtigen Job ist der frühere niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel.

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