Der einsame Soldat

Heute jähren sich zum zweiten Mal die Terroranschläge, die Amerika im Kern erschütterten, den Mythos der Verletzbarkeit Amerikas auf eigenem Boden für immer zerstörten und die Politiker im Weißen Haus vor eine der größten Herausforderungen der US-Geschichte stellten.

Wie die eigenen Ängste konfrontieren - und wie auf die Attacken reagieren? US-Präsident George W. Bush hat seit dem 11. September 2001 der militärischen Macht seines Landes freien Lauf gelassen - mit gemischten Ergebnissen und einer bemerkenswerten Missachtung für die Sensibilitäten und Wünsche selbst einst enger Alliierten. Dies hat dazu geführt, dass die USA sich in einer Zeit zunehmend isoliert sehen, in der sie - wie am Beispiel Irak bestens deutlich wird - am stärksten auf Hilfe angewiesen sind. Misstrauen und Furcht kennzeichnen heute das Verhältnis zwischen Washington und vielen Ländern rund um den Erdball. Der wichtigste Grund für diese ernüchternde Bilanz mag im Schwarz-Weiß-Denken des Texaners liegen. Der Kernsatz "Entweder stellt ihr euch an unsere Seite, oder ihr seid mit den Terroristen" hat die Tonart dominiert, mit der Bush das Verhältnis zu anderen Nationen neu definiert hat. Gleichzeitig ist die umstrittene Doktrin des präventiven Erstschlags zum festen Bestandteil amerikanischer Außenpolitik geworden. Im Irak werden dabei die Risiken und Nebenwirkungen dieser Doktrin klar erkennbar. Zwar hat die Militärmaschinerie der USA die Feldschlachten schnell für sich entschieden, doch einen Krieg zu gewinnen garantiert noch keinen Frieden unter einer besiegten Bevölkerung. Und über allem schwebt der Verdacht, dass der Kampf gegen den Terror lediglich als Vehikel für höhere Ziele - nämlich ein abschreckendes Beispiel für alle "Schurkenstaaten" zu setzen und alte Rechnungen zu begleichen - gebraucht wurde. Sowohl für eine Verbindung des Regimes Saddam Hussein zu den Anschlägen des 11. September wie auch die Existenz einsetzbarer Massen-Vernichtungswaffen fehlen weiter schlagkräftige Beweise. Der erbitterte Widerstand von Guerillas im Irak hat zudem die Annahme Bushs unterminiert, die USA könne die Bedenken anderer Nationen einfach vom Tisch wischen - und es auf eigene Faust oder im kleinen Kreis versuchen, wann immer der Sinn danach steht. Deshalb zwingt die Macht des Faktischen jetzt Bush wieder zum Blick in Richtung Uno. Verantwortung und Mitspracherechte zu teilen, würde vom US-Präsidenten gleichzeitig allerdings auch verlangen, vom gefährlichen Prinzip des Unilateralismus Abschied zu nehmen, dem vom Weißen Haus in so vielen Bereichen gehuldigt wird. Denn um den Terrorismus weltweit und wirksam bekämpfen zu können, benötigt Bush die aktive Kooperation aller Freunde - und auch jener Nationen, die den USA nicht mit Liebe und Verehrung gegenüber stehen. Heute ist der amerikanische Präsident auf der politischen Weltbühne ein mächtiger, aber einsamer Soldat. Um dies zu ändern, bedarf es eines überzeugenden Appells an die gemeinsamen Interessen der internationalen Gemeinschaft - und nicht eines sturen Beharrens auf der Einmaligkeit amerikanischer Ansprüche, abgeleitet aus den zweifelsohne verheerenden Ereignissen des 11. September 2001. nachrichten.red@volksfreund.de

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