Der Fortschritt bleibt eine Schnecke

Berlin · Nach sechs großen Verhandlungsrunden ist die demonstrative Kuschelei zwischen Union und SPD der Ernüchterung gewichen. Bei Schlüsselthemen wie Rente oder Gesundheit haben sich beide Seiten so verhakt, dass auch der Ton immer gereizter wird.

Berlin. Während CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt vor den gestrigen Beratungen klar- stellte, dass es keinen "sozialdemokratischen Koalitionsvertrag" geben werde, brachte sein Parteichef Horst Seehofer gar Neuwahlen als letzten Ausweg ins Spiel.
Das wiederum passte zu einer Bemerkung von SPD-Fraktionsvize Elke Ferner, die auf das geplante Votum der Basis hinwies: Wenn das Ergebnis am Ende nicht stimme, werde man "gar nicht erst die Befragung machen", und die Sache sei "schon vorher erledigt".
In der SPD-Parteizentrale mühten sich die gut 70 schwarzen und roten Emissäre dann mehr als vier Stunden lang um Entspannung. "Ich habe ein gutes Gefühl, dass es klappt", erklärte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hinterher. Ihr Amtskollege von der CDU, Hermann Gröhe, lobte die Bereitschaft, "sich aufeinander zuzubewegen, aber auch Klartext zu reden". Nur CSU-Mann Dobrindt machte keinen Hehl aus dem "ernsten Dissens", den man noch etwa bei Mindestlohn oder Minijobs habe. Es gebe allerdings den "festen Willen", die Koalitionsverhandlungen "erfolgreich" abzuschließen, so Dobrindt.
In der Sache selbst bleibt der Fortschritt freilich eine Schnecke. Und daran hakt es noch:
Mindestlohn: Ein flächendeckender Mindestlohn soll zwar kommen. Die konkrete Einstiegshöhe - die SPD will 8,50 Euro - ist aber noch unklar. Strittig bleibt auch, wann der Mindestlohn startet und ob es regionale Differenzierungen gibt.
Arbeitsmarkt: Sogenannte Werkverträge, mit denen Betriebe bestimmte Aufträge an Fremdfirmen vergeben, sollen stärker auf Missbrauch kontrolliert werden. Außerdem soll es eine Fachkräfteoffensive geben. Bei der von der SPD geforderten Eindämmung der Zeitarbeit ist man sich aber nicht einig geworden.
Rente: Hier stehen gleich fünf kostenträchtige Verbesserungen auf der Agenda. Erstens: Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, sollen künftig rund 28 Euro (West) beziehungsweise 25 Euro (Ost) mehr Rente im Monat bekommen. Zweitens: Geplant ist eine "solidarische Lebensleistungsrente" von aktuell etwa 844 Euro für bedürftige Niedrigverdiener, wenn sie 35 Beitragsjahre vorweisen können. Drittens: Jüngere Erwerbsminderungsrentner sollen künftig so gestellt werden, als hätten sie bis 62 statt wie jetzt bis 60 gearbeitet. Dadurch bekämen sie auf einen Schlag etwa 45 Euro mehr im Monat. Viertens: Die SPD fordert weiter eine abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren. Und fünftens schließlich soll der niedrigere Rentenwert im Osten im Jahr 2020 komplett mit dem Rentenwert West gleichziehen.

Sämtliche Punkte in Sachen Rente stehen allerdings noch unter Finanzierungsvorbehalt. Alle angepeilten Verbesserungen zusammen würden zweistellige Milliardenbeträge kosten, die die SPD über Steuern finanzieren will. Das aber lehnt die Union ab. So bleibt auch unklar, ob die Arbeitsgruppe Familie und Frauen ihre beschlossene Verbesserung beim Elterngeld für Teilzeitbeschäftigte durchsetzen kann.Extra

CDU/CSU und SPD wollen in der künftigen großen Koalition die Genehmigungen von Rüstungsexporten transparenter machen. So soll künftig der Bundestag "unverzüglich" über Entscheidungen des Bundessicherheitsrates informiert werden. Das geht aus dem Entwurf für den neuen Koalitionsvertrag hervor. KNA

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