Der Hirntod als Startpunkt für die Organentnahme

Berlin · "Klinik bricht OP ab - Spender lebte noch" titelte kürzlich die Bild-Zeitung. Dass Ärzte eine Organspende-Operation abbrechen mussten, weil sie die Hirntod-Diagnostik möglicherweise nicht richtig durchführten, kann das Vertrauen der Bundesbürger in die Organspende weiter schwächen.

Berlin. Lebendig zum Organspender werden - das ist eine kaum erträgliche Vorstellung. Für viele Angehörige potenzieller Organspender stellt sich die dringende Frage, wie es denn möglich sein könne, lebendige Organe von einem toten Menschen zu gewinnen. Eine verlässliche Feststellung des Todes ist daher unverzichtbar. Aus dem Grund hat sich der Deutsche Ethikrat erneut intensiv mit der Frage beschäftigt, ob der Hirntod eine verlässliche Feststellung des Todes ist.
Das Ergebnis des in Berlin veröffentlichten, 170 Seiten starken Gutachtens, ist relativ eindeutig: Einmütig halten die 27 Ethikexperten am Hirntod als Voraussetzung für eine Organspende fest. Allein die Feststellung eines Herz-Kreislauf-Stillstands genüge nicht als Entnahmekriterium.
Zugleich erklärte die große Mehrheit des Gremiums, dass der Hirntod ein sicheres Todeszeichen sei. Eine Minderheit argumentiert dagegen, dass der menschliche Körper auch nach dem Ausfall der Hirnfunktionen noch gewisse Steuerungsfunktionen besitze. Dennoch ist auch diese Minderheit der Meinung, dass der Hirntod eine Entnahme von Organen erlaube. Die Entnahme sei nicht als Tötung zu bezeichnen, weil der betreffende Mensch über keinerlei Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögen mehr verfüge und eine Weiterbehandlung im Interesse des Patienten nicht sinnvoll sei.
Trotz dieser eindeutigen Haltung verlangt der Ethikrat, dass Angehörige eines möglichen Organspenders umfassend über die Debatte informiert werden. Die Organspende werfe fundamentale ethische Fragen auf. "Deshalb ist eine transparente Aufbereitung der Diskussion unerlässlich." Der Hirntod bedeutet das unwiderrufliche Ende aller Funktionen des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Das Gehirn ist dann von der Durchblutung abgekoppelt, seine Zellen zerfallen, auch wenn der übrige Körper noch künstlich durchblutet wird. Jede Möglichkeit der bewussten Wahrnehmung, auch der Schmerzempfindung und des Denkens, ist unwiederbringlich verloren; eine Wiedererlangung des Bewusstseins ist ausgeschlossen. Mediziner sprechen von einer "inneren Enthauptung".
Den Durchbruch erzielte diese Todesdefinition, als der südafrikanische Herzchirurg Christiaan Barnard 1967 in Kapstadt erstmals das Herz einer hirntoten Frau verpflanzte: Bereits im Jahr darauf definierte eine Kommission der Harvard Medical School den Hirntod und nicht den Herztod als den Tod des Menschen. Zuvor galt ein Mensch als tot, wenn seine Atmung und Herztätigkeit stillstanden.
Gegner des Hirntod-Konzepts gehen allerdings davon, dass das menschliche Empfindungsvermögen mit dem Hirntod noch nicht erloschen ist. Zweifel säte insbesondere der amerikanische Neurologe Alan Shewmon. Er argumentierte in einer 2008 erschienenen Stellungnahme des Bioethikrates der USA, dass Hirntote durchaus noch über komplexe Steuerungsfunktionen verfügen: Der angeblich tote Körper sei in der Lage, seine Temperatur, den Blutfluss und Hormonhaushalt selbstständig zu regulieren. Auf Schmerzreize reagiere ihr Körper mit Blutdruckanstieg. Shewmon folgert, dass das Gehirn eben nicht als Integrationszentrale für alle Körperfunktionen wirke. Integrationskraft könne keinem einzelnen Körperteil zugeschrieben werden, sondern sie sei ein Zusammenspiel des gesamten Organismus.
Mit Blick auf diese immer wieder aufflackernde Debatte hat der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des deutschen Transplantationsgesetzes 1997 eine konkrete Definition des Todeszeitpunkts bewusst vermieden. Im Gesetz heißt es lediglich, nur Toten dürften lebenswichtige Organe entnommen werden. Die Entnahme sei unzulässig, wenn nicht zuvor der endgültige Ausfall des gesamten Gehirns festgestellt worden sei.
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Der Deutsche Ethikrat berät Bundesregierung und Bundestag in ethischen, medizinischen, rechtlichen und sozialen Fragen. Er hat 26 Mitglieder - unter ihnen Naturwissenschaftler und Juristen, Philosophen, Theologen oder Mediziner. Die unabhängigen Experten diskutieren zentrale ethische, rechtliche oder medizinische Fragen und ihre möglichen Folgen für Individuum und Gesellschaft. Dabei geht es um Sterbehilfe und Stammzellforschung, Altenpflege, Migration oder Organspende. Der Rat berichtet dem Bundestag und der Bundesregierung zum Ablauf jedes Kalenderjahres schriftlich über seine Arbeit und den Stand der gesellschaftlichen Debatte. dpaExtra

Der Essener Mediziner Eckhard Nagel hat dem Deutschen Ethikrat vorgehalten, mit seiner Stellungnahme zu Hirntod und Organspende die Verunsicherung in der Bevölkerung zu schüren. Eine akademische Diskussion über juristische oder die menschliche Existenz betreffende Probleme sollte nicht dazu beitragen, die Patienten in den Wartezimmern und Krankenhäusern, die auf Heilung hoffen, zu vergessen. Mit Hilfe von Organtransplantationen würden viele lebensbedrohliche Erkrankungen, die jeden Menschen treffen könnten, sehr gut behandelt, sagte Nagel der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Er ist Direktor des Universitätsklinikums Essen und selbst Mitglied des Ethikrates. Laut Nagel schwingt in manchen Formulierungen der Verdacht mit, die Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen im Umfeld der Hirntoddiagnostik instrumentalisiere den Sterbenden als Organspender. Nagel hält in seinem Minderheitenvotum, das der dpa vorliegt, dagegen: "Der ärztliche Behandlungsauftrag konzentriert sich auf das Wohl des Patienten und nicht auf eine theoretische Möglichkeit zur Organspende." dpa

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