Der hohe Preis des billigen Fleisches

Berlin/wittlich · Der Blick hinter die Kulissen großer Schlachthöfe hat für Empörung gesorgt. Denn ausländische Zerleger sollen dort mit dubiosen Werkverträgen systematisch ausgebeutet werden. TV-Redakteurin Katharina Hammermann hat sich angeschaut, wie es in der Region aussieht. Auch hier arbeiten ausländischen Kolonnen. Allerdings scheint es den Ungarn und Rumänen besser zu gehen als ihren Landsleuten in norddeutschen Großbetrieben.

Der Skandal Diesmal geht es nicht um BSE. Nicht um Gammelfleisch. Nicht um gequälte Tiere. Bei diesem Skandal der deutschen Fleischbranche stehen die Menschen im Mittelpunkt. Menschen, die zu Tausenden aus ärmlichen Verhältnissen in Osteuropa flüchten, in der Hoffnung, in großen deutschen Schlachthöfen eine gute Arbeit zu finden. Damit sie genug Geld verdienen, um ihre Familie über die Runden zu bringen. Wie unberechtigt diese Hoffnung in vielen Fällen ist, zeigte jüngst die NDR-Reportage "Lohnsklaven in Deutschland". Sie schildert am Beispiel von Schlachtbetrieben im Münsterland ein System der Ausbeutung: Der Lohn für die harte Arbeit ist viel geringer als versprochen. Die Unterkunft ist ein umgebauter Schweinestall, den sich die Arbeiter mit vielen anderen teilen müssen. Geregelte Arbeitszeiten gibt es nicht, ebenso wenig wie bezahlten Urlaub oder irgendeine Form von Sicherheit. Wer krank wird, kann gehen.
Ein System, von dem die Schlachthöfe profitieren. Denn es ist für sie viel günstiger. Statt die Menschen selbst anzustellen, vergeben sie Werkverträge an Subunternehmen, die im Ausland billige Arbeitskräfte rekrutieren. Arbeitslöhne von fünf Euro brutto pro Stunde sind der Reportage zufolge keine Seltenheit.
Die Ermittlungen Die Vorgehensweise der beteiligten Firmen ist nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich bedenklich.

Der Zoll hat die Branche im Visier. Nach Auskunft von Hans-Joachim Narzynski, Sprecher des Bundesfinanzministeriums, wurden 2012 deutschlandweit im Schlachtgewerbe 665 Arbeitgeber überprüft. In fast der Hälfte der Fälle (294) seien Bußgeldverfahren eingeleitet worden. Zudem hat der Zoll 2012 genau 171 Strafverfahren gegen Arbeitgeber abgeschlossen. Die "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" überprüft unter anderem, ob die Arbeitnehmer richtig angemeldet sind oder ob Werkvertragsfirmen tatsächlich eigenverantwortlich arbeiten: Die Mitarbeiter der Schlachthöfe dürfen den Fremdarbeitern keine Anweisungen geben und nicht gemeinsam mit ihnen arbeiten. Passiert dies doch, müsste der Schlachthof die Leute wie eigene Angestellte behandeln und nicht nur ähnlich hohe Löhne, sondern auch Sozialversicherung zahlen.

Auch die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelt in großem Maßstab, vor allem in der Region Duisburg. Die Ermittlungen richten sich gegen 30 bis 40 Firmen - allesamt Subunternehmen. Sie sollen Steuern und Sozialabgaben in Millionenhöhe hinterzogen haben.

Die Schlachthäuser vor Ort 90 Prozent der in Rheinland-Pfalz geschlachteten Schweine lassen ihr Leben in der Säubrennerstadt Wittlich. Die dort ansässige Firma Simon-Fleisch zählt zu den zehn größten Schlachtbetrieben Deutschlands: Wöchentlich werden fast 20 000 Schweine zerlegt.

Von den rund 450 Mitarbeitern des Betriebs sind nach Auskunft der Geschäftsführung mehr als die Hälfte, nämlich 240, nicht bei Simon selbst, sondern bei verschiedenen Werkvertragsunternehmen angestellt, die ihren Firmensitz überwiegend im Ausland haben: vor allem in Ungarn und Rumänien. Dort kommen auch die meisten der ausländischen Mitarbeiter her. Die übrigen Mitarbeiter sind direkt bei Simon-Fleisch angestellt. Ein kleiner Teil von ihnen (im Schnitt sechs bis zehn) ist im offenen Vollzug des Wittlicher Gefängnisses.

Auch die zum niederländischen Nahrungsmittelkonzern Vion gehörende Klaus-Dieter Fuchs GmbH in Prüm beschäftigt Fremdarbeiter: 14 der 33 Mitarbeiter sind laut Geschäftsführung über eine rumänische Firma nach Deutschland vermittelt worden. In der Region gebe es einfach nicht genug Zerleger. "Wir sind ein kleiner, familiärer Betrieb. Missstände, wie sie im Fernsehen zu sehen waren, gibt es bei uns nicht", sagt Geschäftsführer Klaus-Dieter Fuchs.

Die Firma Faber in Bollendorf hat nach eigener Auskunft ausschließlich fest angestellte Mitarbeiter (50).

Die ausländischen Mitarbeiter Vor einem Haus im Eifelort Gladbach sitzen drei ungarische Männer auf den Treppenstufen und rauchen, während ihre Kollegen drinnen noch in ihren Stockbetten schlummern. Sie hatten Nachtschicht bei Simon-Fleisch, wo sie - wie die meisten Ausländer - in der Zerlegung arbeiten. Ihre Aufgabe ist es, die zersägten Schweine weiter zu zerkleinern. Auch ungelernte Kräfte machen das. Am Fließband ist oft nur ein Schnitt nötig: Einer schneidet das Schwänzchen ab, einer löst die Unterschale heraus, der nächste kümmert sich ums Filet.

Wie viel man dabei verdient, scheint nicht nur von der Qualifikation, sondern auch von der jeweiligen Firma abzuhängen: Die Männer in Gladbach arbeiten für sieben bis acht Euro netto die Stunde. Mitarbeiter einer anderen Firma bekommen nach Aussagen fest angestellter Kollegen nur 5,30 Euro, wieder andere erhalten sechs Euro (48 Euro netto am Tag). Die zuletzt Genannten bekommen Augenzeugen zufolge keine separaten Lohnabrechnungen, sondern einen Zettel, der tabellarisch für jeden Tag den Verdienst aller WG-Mitbewohner auflistet.

Weil sie Europäer sind, können die Mitarbeiter auch hier zum Arzt gehen. Einen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder einen Urlaubsanspruch haben sie allerdings nicht.

Dennoch sind die drei Ungarn zufrieden. Sie sind bei dem ungarischen Subunternehmen einer Saarbrücker Firma angestellt, bleiben ein paar Wochen in Wittlich, arbeiten fünf Tage die Woche und gehen dann für ein oder zwei Wochen zurück zu ihren Familien nach Ungarn. Die Arbeitsbedingungen finden sie okay. In anderen deutschen Schlachthöfen hätten sie für nur fünf Euro gearbeitet, elf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Und obwohl sie in Gladbach zu dritt in einfachen Zimmern mit Stockbetten schlafen, finden sie auch das Haus, das die Firma ihnen kostenlos zur Verfügung stellt, gut.

Ähnlich zufrieden äußern sich auch Angestellte einer rumänischen Firma, die in ehemaligen Kasernengebäuden in Wittlich wohnen. Sie hätten vorher in einem anderen deutschen Schlachthof viel weniger verdient. Eine vielleicht 35-Jährige Rumänin sagt, sie wolle ein Jahr bleiben und dann zu ihren Kindern zurückkehren. Dass sie sich mit so vielen Menschen eine Wohnung teilt, stört sie nicht.

Der Ex-Mitarbeiter Der gelernte Metzger Istvan Kovacs (Name geändert) hat seit 1992 mit Unterbrechungen immer wieder im Wittlicher Schlachthof gearbeitet. "Harte Arbeit", wie er sagt. Jede Nacht habe seine Truppe 2800 bis 3500 Schweine zerlegt. Anfangs verdiente er 1000 bis 1300 D-Mark im Monat. "Das war für einen Ungarn gutes Geld", sagt er. Geld, das er sparte, um für seine Familie in der Heimat ein Haus zu kaufen.
Allerdings kamen mit den Jahren immer mehr Ausländer nach Wittlich - der Lohn sei gesunken.
Kovacs berichtet, dass seine Firma oft ihren Namen änderte, obwohl immer der gleiche Mann Chef gewesen sei. Als das Unternehmen nach Rumänien zog und von Kovacs verlangte, dorthin zu reisen, um seinen neuen Arbeitsvertrag zu unterschreiben, kündigte er. Er wechselte zu einem deutschen Werkvertragsunternehmen, das ihn fest anstellte. Vorher hatte er 1300 bis 1500 Euro netto. Dort seien es für die gleiche Arbeit 1700 bis 2000 netto gewesen. Erstmals hatte der Ungar bezahlten Urlaub. Als Simon-Fleisch den Werkvertrag mit der deutschen Firma nicht verlängerte, verlor er seinen Job. Doch dank der Festanstellung hatte er nun sogar Anspruch auf Arbeitslosengeld. Inzwischen arbeitet er in der Metzgerei eines Eifeler Supermarkts, ist damit sehr zufrieden und wünscht sich nur, irgendwann mit seiner Familie zusammenleben zu können.

Der Subunternehmer"Ich kann mit diesen Preisen, mit diesem System nicht konkurrieren", sagt Heinz Kolze, der in Großlittgen die Zerlegearbeiten GmbH betreibt, einen Lohnbetrieb, der für Simon-Fleisch tätig ist. Allerdings seit einigen Monaten mit weniger Leuten. Denn der Vertrag für eine "seiner" Schichten ging nun an ein ungarisches Unternehmen. So unschön er das für seinen Betrieb auch findet - der Firma Simon legt er das nicht zur Last. Das sei nicht anders machbar, wenn man konkurrenzfähig bleiben wolle. Keiner sei bereit, für sein Fleisch mehr zu bezahlen. Schweinerollbraten für 1,99 Euro! "Aus einem hochwertigen Lebensmittel wurde Ramschware gemacht", sagt Kolze, der sich wünscht, dass die Politik sich endlich um das Thema kümmert. "Wenn die Leute hier arbeiten, dann sollten sie auch hier sozialversichert sein - dann wäre der ganze Spuk vorbei".

Die Vorwürfe Festangestellter "Ich kann da einfach nicht mehr zugucken, was die mit den Leuten machen", sagt ein fest angestellter Mitarbeiter der Firma Simon-Fleisch, der sich derzeit bemüht "im Untergrund" Mitstreiter zu finden, die mit ihm einen Betriebsrat gründen. Vom Sinn der Arbeitnehmervertretung müsse er niemanden mehr überzeugen. Doch die Angst vor möglichen Sanktionen sei groß.

Er bedauert die Situation der Fremdarbeiter, die zum Teil nur 5,30 Euro in der Stunde verdienen und keinerlei Sicherheiten hätten. Doch auch die Situation der Menschen aus dem offenen Vollzug nutze man aus. 240 Arbeitsstunden im Monat seien normal, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter. Der Stundenlohn (7,50 Euro brutto) wird den Sträflingen laut Vertrag nur dann um 1,50 Euro erhöht, wenn die keinen Tag im Monat wegen Krankheit ausfallen. Solch eine "Bestrafung" für Krankheit darf es der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) zufolge nicht geben. "Wir sehen das nicht als Kürzung, sondern als Prämie", sagt Personalleiter Erhard Hagen. Man habe schlechte Erfahrung "mit der Klientel" gemacht. "Wenn uns das jemand zur Last legt, dann gibt es die 1,50 Euro eben nicht mehr".

Und was hält die Geschäftsführung von einem Betriebsrat? Vor einigen Jahren habe es bereits die Bestrebung gegeben, einen zu etablieren. Doch es sei fast niemand zu den Wahlen gekommen. Die Belegschaft habe daran kein Interesse, weil sie weit über Tarif bezahlt werde.

Die Geschäftsführer Junior-Geschäftsführer Bernhard J. Simon, sein Vater und Personalchef Hagen ärgern sich zwar sehr darüber, dass ihre Branche mal wieder am Pranger steht, geben aber bereitwillig Auskunft. "Wir hatten hier alle erdenklichen Überprüfungen und wurden nie beanstandet", sagt Simon junior. Ohne ausländische Mitarbeiter sei der Betrieb nicht aufrecht zu erhalten. Es gebe in der Region einfach nicht genügend Metzger. "Wir sind der einzige deutsche Großschlachtbetrieb, der überhaupt noch deutsche Zerleger hat", sagt der Jurist. Natürlich seien die teurer. "Aber wir sehen das auch als soziale Verpflichtung an." Das gleiche gelte für die Resozialisierung von Gefangenen, die man nicht nehmen müsse und die im Vergleich gut bezahlt würden. Simon sagt: "Wir sind der, der es unter den Großen in der Fleischbranche am anständigsten macht".

Zudem interessiere sich die Firma durchaus für die Arbeitsbedingungen der Fremdarbeiter. "Aber je tiefer wir uns die Angelegenheiten der anderen Firmen einmischen, desto verdächtiger wird das für den Zoll", beschreibt der junge Geschäftsführer den Zwiespalt zwischen dem, was aus seiner Sicht ethisch geboten wäre und was rechtlich erlaubt ist. Ihm wäre es am liebsten, das ganze Werkvertragssystem wäre verboten. Die Bilder, die er im Fernsehen gesehen hat, haben auch ihn wütend gemacht.

Die wirklich Schuldigen seien jedoch andere. "Was der Handel mit seinen immer neuen Preissenkungen von der Fleischbranche verlangt, ist unmenschlich", sagt Simon. Der Druck wirke sich auf alle Beteiligten aus. Und Beteiligte gibt es viele. Von Tieren, die unter industrielleren Bedingungen produziert werden, über heimische Bauern, die von ihren Schweinen kaum noch leben können, bis zum ausländischen Zerleger, der womöglich mit falschen Hoffnungen nach Deutschland kam.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort