Der Innenminister und seine Mängel

Berlin · Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat zu spät auf den Flüchtlingsansturm reagiert. Mängel in der Verwaltung und die fehlende Koordinierung in der Krise sind offensichtlich. Inzwischen hat die Kanzlerin das Thema zur Chefsache gemacht.

Berlin. Heute berichtet Innenminister Thomas de Maizière dem Innenausschuss des Bundestages in einer Sondersitzung über die Flüchtlingskrise. Nicht nur das Parlament kommt damit auf eine Betriebstemperatur, die der Lage angemessen ist. Sondern auch der zuständige Ressortchef. Der 61-jährige CDU-Politiker hat die Entwicklung nämlich bisher ziemlich verschlafen.
Beispiel Bamf. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schiebt einen Berg von über 250 000 unerledigten Anträgen vor sich her. Dafür trägt de Maizière die politische Verantwortung, die Behörde untersteht ihm. Die Asylverfahren dauern über fünf Monate. In den Niederlanden sind es acht Tage. Und auch die fünf Monate sind noch geschönt - sie zählen erst ab der Antragstellung. Bis die den Betroffenen gelingt, vergehen oft Wochen. Tendenz: steigend.
Erst im Mai wurde beschlossen, die Mitarbeiterzahl des Bamf bis Ende 2016 nach und nach auf 4800 aufzustocken. Jetzt sind es 3000, davon sind lediglich 550 sogenannte Entscheider.
Die Mängel verwundern bei einem Minister, der in Sachen Verwaltung als so versiert gilt, dass er in Berlin schon den Spitznamen "lebende Büroklammer" weghat. Doch de Maizière hat sich zu lange in Nebenaspekte des Flüchtlingsdramas verheddert. So stritt er sich endlos mit den anderen EU-Ländern über deren Aufnahmezahlen. Er warnte davor, dass die Seenotrettung auf dem Mittelmeer nur den Schleppern das Geschäft erleichtere - bis eine Bootskatastrophe zum Umdenken zwang. Er forderte Aslyzentren in Afrika, die nie realistisch waren, und kritisierte das Kirchenasyl. Alles ziemlich neben den wirklichen Themen. Eine dringend notwendige Bund-Länder-Koordinierungsstelle nahm dafür erst vorige Woche ihre Arbeit auf.
Auch beim Bamf herrschte lange Normalbetrieb, und kein de Maizière störte. Als etwa die Mainzer Staatskanzlei der Behörde anbot, kurzfristig Landesbeamte zur Verstärkung zu schicken, bekam sie einen Monat lang keine Antwort. Es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass es in dem Bundesamt mit Hauptsitz in Nürnberg in diesem Sommer trotz des Massenandrangs selbstverständlich keine Urlaubssperre gab. Das Bamf hat derzeit 30 Außenstellen. Es gibt mittlerweile aber viel mehr Erstaufnahmeeinrichtungen. Trotzdem hält das Bamf daran fest, nur dort vor Ort zu sein, wo mehr als 500 Betten sind. Die Flüchtlinge aus den vielen kleineren Lagern müssen zu den Beamten reisen.Unklare Zielvorgabe


Für Syrer und Iraker wurden die Verfahren zwar schon Ende 2014 vereinfacht. Dafür warten jetzt Pakistani oder Afghanen umso länger. Und wie das Ziel, die Wirtschaftsflüchtlinge vom Balkan schnell zu bescheiden und wieder abzuschieben, praktisch umgesetzt werden kann, ist völlig unklar. Derzeit werden sie trotz der Aussichtslosigkeit ihres Asylbegehrens noch auf die Kommunen verteilt und müssen dort versorgt werden. Dafür hielt sich die Behörde lange damit auf, Flüchtlinge in aufwendigen Verfahren wieder in die EU-Staaten der ersten Registrierung zurückzuschicken. Nur bei rund 130 Syrern gelang das, ehe das Innenministerium die unsinnige Praxis vor zwei Wochen endlich stoppte. Vor allem verpasste de Maizière das, was am ehesten seines Amtes gewesen wäre: Die frühzeitige Warnung vor dieser Welle. Und die Formulierung eines politischen Konzeptes zum Umgang mit ihr. Er ist Minister, nicht Staatssekretär. Sein Einwurf vom Sonntag, dass 800 000 Flüchtlinge für Deutschland auf Dauer zu viel seien, hilft nicht wirklich weiter.
Nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub hat Angela Merkel die Flüchtlingsfrage sofort zur Chefsache gemacht. Ein Grund dafür heißt: Thomas de Maizière.

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