Der Kamikaze-Kanzler

BERLIN. Für die Kritiker hat Kanzler Gerhard Schröder mit seinem rigorosen Ja zur Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China vor allem eines klar gemacht: Menschenrechtsverletzungen und das Votum des Bundestags interessieren ihn hier weniger.

Gerhard Schröder gegen die eigenen Genossen, das ist seit Hartz IV und der Agenda 2010 nicht neu. Dass sich der Kanzler ab und an auch gegen die Grünen stellt, dafür gibt es aus den letzten sieben Koalitionsjahren hinreichend Beispiele. Stets galt jedoch: Wenn es drauf ankam, stand die rot-grüne Gefolgschaft. Nun aber wagt sich Gerhard Schröder gegen Freund und Feind, gegen das gesamte Parlament, ohne Aussicht auf Rückendeckung. Der Niedersachse kündigte in einem Interview an, notfalls auch gegen den Willen des Bundestags für die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China einzutreten. Schließlich sehe die Verfassung vor, dass die Außenpolitik von der Bundesregierung gemacht werde. Ein Affront gegen das hohe Haus? Zumindest ein Alleingang zum "denkbar bescheuertsten Zeitpunkt", wie Koalitionäre verärgert sagen. Der Kamikaze-Kanzler hat jedoch seine Gründe, warum er ohne Rücksicht Porzellan zerschlägt. Fast wöchentlich kommen neue Fronten dazu, an denen Rot-Grün derzeit zu kämpfen hat - und gerade den unter Visa-Beschuss stehenden Außenminister hat der Regierungschef mit seiner Initiative in ein weiteres gefährliches Fahrwasser gebracht: Joschka Fischer muss jetzt den heiklen Spagat proben, als Gehilfe Schröders einerseits, als Skeptiker bezüglich eines Endes des Lieferstopps für Waffen an Peking andererseits. Eine unmögliche Mission, eine Verbiegung sondergleichen. Denn Fischers Partei ist felsenfest gegen das Ende der EU-Sanktion, dem alle Staaten der Union zustimmen müssten. Im Oktober hatte sich gegen den Willen Schröders auch noch der Bundestag fast einhellig diese grüne und rote Position zueigen gemacht und Bedingungen für die Aufhebung gesetzt. "Klar ist, sie sind bis heute nicht erfüllt", ist der grüne Sicherheitsexperte Alexander Bonde derzeit ein Koalitionär von vielen, die sich gegen Schröder stellen. Am besten Schweigen, lautet demgegenüber Fischers Devise. FDP-Chef Westerwelle sieht den Außenminister bereits in der China-Frage entmachtet. "Offensichtlich nutzt der Bundeskanzler die Schwäche Fischers aus, um seine Position durchzusetzen", kommentiert CDU-Generalsekretär Volker Kauder ketzerisch. "Jetzt das Embargo aufheben, geht nicht", glaubt auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Gernot Erler. Allein schon, weil Peking Mitte März ein Gesetz verabschiedet hatte, das den Einsatz militärischer Gewalt gegen Taiwan erlaubt. Der Einzelne habe zwar in China mehr Freiheiten als früher, ergänzt die Generalsekretärin von amnesty international Deutschland, Barbara Lochbihler. "Man kann aber nicht daraus schließen, dass sich in einem Automatismus dadurch die Menschenrechtslage verbessert hat." Die Front der Gegner des Kanzler-Vorstoßes ist also riesig. Außenpolitik war allerdings schon immer Chefsache, wenn es um die "Global Player" der Politik geht. Und wie beim russischen Präsidenten Putin, zu dem Schröder ein überaus enges Verhältnis pflegt, ist er auch in Sachen China gegen Kritik an seiner Person und seiner Politik scheinbar immun. Schröders Vorgehen folgt dabei einer gewissen Logik, wie jene sagen, die ihn auf seinen jährlichen Reisen nach Asien begleitet haben. Der Kanzler wolle den Wandel im Land honorieren und fühle sich im Wort. "Er hat eine hohe persönliche Affinität zu China", sagen Kenner.

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