Der Kanzler hofft auf Rudis Steilpass

Berlin . Wenn am 12. Juni in Portugal die Fußball-EM beginnt, hat Rudi Völler einen besonderen Fan: Bundeskanzler Gerhard Schröder hofft auf ein gutes Abschneiden des Völler-Teams, um selbst von der Hochstimmung zu profitieren.

Nur Zeitgenossen, die auch der Abseitsregel verständnislos gegenüber stehen, werden einen mittelbaren Zusammenhang zwischen Politik und Sport bestreiten. Genauer: zwischen der Politik der Bundesregierung und den Erfolgen der Fußball-Nationalmannschaft. Als Deutschland vor genau 50 Jahren erstmals Weltmeister wurde, begann nicht nur das Wirtschaftswunder, auch die Adenauer-Regierung präsentierte sich zusehends selbstbewusster. An diesem Phänomen hat sich bis heute nichts geändert: Weltmeisterehren der Nationalmannschaft haben auch zur Stabilisierung der Kanzler Helmut Schmidt (1974) und Helmut Kohl (1990) beigetragen.Gut gelaunte Leute mäkeln nicht herum

Vor zwei Jahren reichte sogar der Vizetitel, um Gerhard Schröder Aufwind zu verschaffen. Damit ist klar: Siegt die kickende Elite der Nation in Turnieren, dann kann eine Regierung davon profitieren wie der Stürmer vom Steilpass. Es ist ein ausgesprochen positiver Effekt, der Einfluss nimmt auf die Psyche und damit die Entscheidungsfreude des Kanzlers und seiner Minister. Und die Ausläufer dieses Hochs haben wiederum Auswirkungen auf uns alle, auf die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Kultur. Denn gut gelaunte Leute mäkeln nicht so viel herum. Sie geben mehr Geld aus und kurbeln die Konjunktur an. Abermals steht jetzt ein fußballerisches Großereignis vor der Tür, die EM (Europameisterschaft) in Portugal. In der sportbegeisterten Nation steigt die fieberhafte Erregung schon deutlich an. Auch im Kanzleramt blickt man mit gemischten Gefühlen und gemurmelten Stoßgebeten nach Lissabon und Porto: Liefert Rudi Völlers Elf eine akzeptable oder gar gute Leistung ab, dann könnte dies so manchen deutschen Dauernörgler etwas besänftigen. Dann könnte, so die Hoffnung der politischen Strategen um den ehemaligen Straßenkicker "Acker" (Schröder), die Bestrafung der SPD durch die sensiblen und kritischen Wähler womöglich ausgesetzt werden. Und dann könnte der Kanzler, mit dem Sympathisanten Rudi-Nationale im Arm, sein ramponiertes Image wieder etwas aufpolieren. Wenn - dann. Der Konjunktiv dämpft die Erwartungshaltung etwas, schließlich haben die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt. Diesen zu vergießen scheut sich das deutsche Personal zwar nicht, doch sind gewisse Zweifel an der Fußfertigkeit der Auswahltruppe angebracht. Immerhin hat sich "Kaiser Franz" (Beckenbauer) mit seinen abfälligen Bewertungen in letzter Zeit ja zurückgehalten und die "Rumpelfußballer" gnädig behandelt. Gleichwohl steckt die 1:5-Klatsche gegen die international zweitklassigen Rumänien noch in den Trikots der Mannschaft. Daran hat auch das 7:0 gegen den Fußballzwerg Malta nichts geändert. Das Ergebnis des gestrigen Spiels gegen den Aufbaugegner Schweiz lag übrigens bis Redaktionsschluss dieser Seite noch nicht vor. Wie dem auch sei: In Sport wie Politik müssen wir - also Gerhard Schröder, Rudi Völler und der Rest der Republik - nach vorne schauen, die Ärmel hochkrempeln, in die Hände spucken. Optimismus ist eminent wichtig, er stärkt die Psyche und macht der Physis Beine. Wie gesagt: Gegenwärtig läuft es noch nicht rund, weder in Völlers noch in Schröders Team. Beiden Mannschaften mangelt es am notwendigen Selbstbewusstsein, beide wirken noch zu verkrampft und konzeptionslos. Doch das kann sich ja ändern. Das muss sich auch ändern, denn Deutschland braucht den Erfolg, braucht den Kick, um wieder frei zu werden im Kopf. Die Moral von der Geschicht liegt auf der Hand: Wir können, wenn wir wollen. Deutschland ist wirtschaftlich wie sportlich zu stark, um in der zweiten Liga zu spielen.Eine Regierungschefin auf der Bühne?

Wie es funktioniert, hat ja - wieder eine interessante Parallele - der weibliche Teil demonstriert: Die Frauen-Nationalelf ist bereits Weltmeister. Gleichzeitig schickt sich eine andere Powerfrau an, an die Spitze zu stürmen. Soweit wir wissen, hat Angela Merkel zwar sportlich nicht so viel am Hut wie Schröder, doch tut das ihren politischen Ambitionen keinen Abbruch. Es bleibt jedenfalls dabei: Hat Völler Erfolg, steigen auch Schröders Chancen, über den Mai 2005 hinaus (dann sind entscheidende Wahlen in Nordrhein-Westfalen) im Amt zu bleiben. Andernfalls könnten sowohl Bundestrainer wie Bundeskanzler den Job verlieren. Dann würde bei der WM 2006 in Deutschland wohl ein neuer Trainer auf der Bank sitzen - und eine Regierungschefin auf der Tribüne.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort