Mainz. (uq) Über den Wandel von Fastnacht sprach TV-Redaktionsmitglied Ursula Quickert mit der Mainzer Wissenschaftlerin Hildegard Frieß-Reimann. Sie forscht unter anderem zum Thema Feste und Bräuche und hat zahlreiche Beiträge zum rheinischen Karneval veröffentlicht.

Welche Rolle spielt Karneval heute in unserer Gesellschaft?

Hildegard Frieß-Reimann: Noch immer eine sehr große. Die Menschen können hier ihre Kreativität ausleben. Außerdem spricht der Karneval Menschen aller Milieus an. Das macht ihn so spannend. Er schließt nicht aus und bietet eine Integrationsmöglichkeit. Ich beobachte eine Art Karnevalisierung der Gesellschaft: Viele Fußballfans verkleiden und schminken sich, singen Lieder. Sie geben sich als Gruppe aus, indem sie sich maskieren. Ein weiteres Beispiel ist die Love Parade in Berlin. Anscheinend ist das Bedürfnis sehr groß, in eine andere Rolle zu schlüpfen und damit dem Alltag zu entkommen.

Wie hat sich die Fastnacht verändert?

Frieß-Reimann: Die Karnevalssitzungen waren lange Zeit zu steif. Das hat sich seit 15 Jahren stark verändert: Zuschauer und Akteure sind nicht mehr so stark getrennt. Gerade junge Leute mögen das Lebendige, das Bunte und Bewegung im wahrsten Sinne des Wortes.

Verliert der Karneval seine Funktion als Gesellschaftskritiker, wenn er zur Showveranstaltung wird?

Frieß-Reimann: Karneval ist ein Abbild unserer gesellschaftlichen Realität. Die Frage lautet: Inwieweit lässt die Gesellschaft Kritik zu? Heute gilt man schnell als Nestbeschmutzer, wenn man die Politiker tadelt. Das zeigt sich auch im Karneval.

Wie bewerten Sie den Wandel der Fastnacht?

Frieß-Reimann: Sie war immer Veränderungen unterworfen. Und jetzt ist halt eine Generation da, die mit den Medien erwachsen wurde. Der Karneval wird auf keinen Fall untergehen, er wird sich nur verändern, einige Kernelemente aber beibehalten. Vor allem die Umzüge, sie sind das große Plus des Karnevals.