Der kaukasische Knoten

Sie bringen Leid, Verderben, Tod. Sie verbreiten Angst und Schrecken. Sie waten im Blut. Was sind das für Menschen, die behaupten, dass sie für die Freiheit ihres unterdrückten Volkes kämpfen - und dabei sämtliche Ideale von Menschlichkeit pervertieren?

Die Kinder als Geiseln nehmen, die wahllos töten. Gefühlskalt. Grausam. Skrupellos. Sind das noch Menschen? Was sich da in einer entlegenen Gegend des Kaukasus abspielt, ist nur scheinbar fern: Jede Mutter, jeder Vater, überall auf der Erde, bangt angesichts der emotionalen Wucht der Bilder mit den Kindern von Beslan und ihren Angehörigen. Quälende Ungewissheit, abgrundtiefe Sorge, pochende Todesangst. Und viele beschleicht ein mulmiges Gefühl, so wie nach den Anschlägen von New York, Bali, Djerba oder Madrid: dass die terroristische Internationale jederzeit an jedem Ort zuschlagen kann. Die kaukasischen Rebellen haben ihr irrsinniges Ziel erreicht: (Welt-)Öffentlichkeit für einen regionalen Konflikt, den sie rücksichtslos eskalieren. Anschläge auf ein Theater, die U-Bahn, Flugzeuge, nun eine Schule - sie fordern das verhasste Mutterland Russland und Präsident Putin heraus. Der handelt nach dem Prinzip: Staatsraison geht über Einzelschicksale. Härte - die einzige Antwort. Putin verweist wie US-Präsident Bush auf die Weltverschwörung des Bösen und internationale Drahtzieher der Terror-Attacken - weil er nicht eingestehen will, dass Russland keinen Weg findet, die glimmende Lunte am eigenen Pulverfass zu löschen. Eine vertrackte Gemengelage: Jahrhundertelang versuchen die Zaren, die Kaukasier unter ihre Knute zu zwingen. Im totalitären System der Sowjetunion gelingt die Unterdrückung, nach dem Zerfall des kommunistischen Regimes nicht mehr. Tschetschenien, Inguschetien, Ossetien, ein einziger Brandherd. Vor allem das islamische Bergvolk der Tschetschenen strebt nach Unabhängigkeit. Der Kreml reagiert brutal: Krieg, Verschleppungen, Erschießungen, totale Zerstörung von Städten wie Grosny. Die tschetschenischen Guerilleros, die selbstmörderischen "schwarzen Witwen", die ihre Männer, ihre Söhne verloren haben, wollen nur noch eines: Rache. Terrorismus ist kein Mittel der politischen Auseinandersetzung, niemals, nirgends. Dass Putin den Erpressungsversuchen widersteht, ist richtig. Allerdings muss sich der russische Präsident fragen, welchen Kurs er wählt, um die Ursachen des Terrorismus zu bekämpfen. Klar ist: Die knallharte Linie provoziert immer brutalere Gegenreaktionen - und fordert immer neue, sinnlose Menschenopfer. Mit einem Schwerthieb lässt sich der verwickelte kaukasische Knoten nicht zerschlagen, er muss bedächtig gelöst, Schleife für Schleife entwirrt werden. Dazu bedarf es einer Strategie - die Putin bislang fehlt. Kaum vorstellbar, dass es ohne die Vermittlung von Dritten geht, zu verhärtet sind die Fronten, zu groß ist der Hass. Der Westen sollte sich getrost einmischen, vor allem die Putin-Freunde Bush, Chirac und Schröder - mit mehr als warmen Worten. Ohne Impulse von außen droht im Kaukasus ein Schrecken ohne Ende. p.reinhart@volksfreund.de

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