"Der Markt ist nicht aus sich heraus gerecht"

BERLIN. Nach Ansicht des Vorsitzenden der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Gerald Weiß, hat SPD-Chef Franz Müntefering bei seiner Kapitalismus-Kritik einige richtige Fragen gestellt.

Die Genossen schimpfen über Heuschrecken und verantwortungslose Unternehmer. Können sie die hitzige Diskussion nachvollziehen?Weiß: Natürlich gibt es in unserer sozialen Marktwirtschaft Reformbedarf. Aber ich wehre mich dagegen, die Diskussion unter dem Stichwort Müntefering zu führen. Was er tut, ist ein ganz durchsichtiges Wahlkampfmanöver, das vom rot-grünen Debakel am Arbeitsmarkt ablenken soll. In der CDA findet die Debatte über die wirtschaftliche Globalisierung und ihre Rückwirkungen auf die Arbeitnehmer übrigens schon seit Jahr und Tag statt. Dann müssten Sie dem Chef-Genossen eher dankbar sein, dass die Debatte in der breiten Öffentlichkeit angekommen ist. Weiß: Es gibt eine Fülle von Meinungsäußerungen aus der Union. Aus dem Reformbedarf macht die Partei keinen Hehl. Aber Müntefering hat die aktuelle Diskussion mit völlig untauglichen Mitteln angezettelt. Tatsache ist, dass die vormals selbstverständliche Koppelung zwischen unternehmerischem Erfolg und dem Wohlergehen des Arbeitnehmers heute zum Teil nicht mehr funktioniert. Internationale Finanzjongleure entfernen sich von den Menschen. Der wahre Klassenkampf vollzieht sich zwischen schneller Maximal-Rendite und der Erhaltung gesunder Unternehmen. Das klingt wie Müntefering.Weiß: Ich bestreite ja nicht, dass er einige richtigen Fragen stellt. Aber der Mann steht seit sieben Jahren mit in der Regierungsverantwortung. Wenn er diese Missstände wirklich sieht, dann hätte er auch längst etwas dagegen tun können. Sie selbst haben eine Entkopplung der Managergehälter vom Börsenkurs ihrer Unternehmen angemahnt. Ist das in der Union mehrheitsfähig?Weiß: Mir geht es darum, die Diskussion in der Union inhaltlich weiter zu führen. Vorher sind auch keine Beschlüsse möglich. Mit der Idee einer Entkopplung würden die langfristigen Unternehmensinteressen wieder an Bedeutung gewinnen. In dieser Debatte habe ich aber auch eine Gewichtung der Stimmrechte bei Aktien angeregt. Wer Aktien längerfristig hält, der soll bei Unternehmensentscheidungen stärker mitreden dürfen. Darüber hinaus müssen wir überlegen, die Mitarbeiter stärker am Produktivkapital zu beteiligen. Manche Auswüchse ließen sich nämlich verhindern, wenn die Arbeitnehmer in den Betrieben mehr zu sagen hätten. Damit sprechen Sie zweifellos den Gewerkschaften aus dem Herzen. Ihr potenzieller Koalitionspartner FDP sieht in den Arbeitnehmervertretern allerdings die wahre Plage in Deutschland. Weiß: Diese Kritik ist unmöglich und eine Diskriminierung der Gewerkschaften. Gerade die Arbeitnehmer brauchen heute mehr den je eine Vertretungs- und Verhandlungsmacht, weil sie als Einzelne in einer globalisierten Welt nicht gewinnen können. Welches Ergebnis erwarten Sie von der ganzen Kapitalismus-Debatte? Weiß: Ich wünschte mir, dass wir unsere Sozial- und Wettbewerbsordnung den Bedürfnissen einer globalisierten Wirtschaft anpassen. Wir brauchen wirtschaftliche Spielregeln. Der Markt ist nicht aus sich heraus gerecht. Notwendig ist eine Ordnung gegen die wirtschaftliche Vermachtung. S Das Gespräch führte unser Korrespondent Stefan Vetter.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort