Der Missmut wächst

BERLIN. Fußballerisch würde man sagen: Geplänkel im Mittelfeld. Die Bundesregierung spielt wie die Nationalmannschaft von damals, nicht wie die von Klinsmann. Quer- und Rückpässe, kein Offensivdrang. Der Missmut über die Arbeit der großen Koalition wächst.

Die Wirtschaft bemängelt, dass hier zu Null gespielt werden solle, der Bundespräsident fordert mehr Reformdrang - und ein prominenter Akteur aus der SPD-Fraktion zeigt ihm dafür einen verbalen Stinkefinger. "Besserwisser" lautet die Attacke, die man so zwischen den Verfassungsorganen noch nicht gehört hat. Angela Merkel wird mit ihrem staunendem Mund zur Fanikone dieser WM, aber der Missmut wächst. Die Umfragewerte der Union sinken hinab in jenen Keller, in dem die SPD schon ist. Immer deutlicher wird, dass diese große Koalition keine Koalition des Aufbruchs ist, dass sie kein gemeinsames politisches Projekt hat und ein solches demzufolge auch nicht ist. Wenn sie es noch werden will, muss viel geschehen. Bisher ist sie eine Notgemeinschaft der beiden größten Konkurrenten, eine Mannschaft wie je zur Hälfte aus den Rivalen Schalke 04 und Borussia Dortmund zusammengesetzt. Der Teamgeist ist nur zur Schau getragen. Die SPD achtet eifersüchtig darauf, ihre Ausgangsposition für die nächste Wahl zu wahren. Der Union ist dieses Denken ebenfalls nicht fremd, zudem sorgen bei ihr einige Landesfürsten mit Störfeuer dafür, dass Angela Merkel nicht zu groß werden kann. Diese Koalition ist ein permanenter Vermittlungsausschuss, in dem Kompromisse zwischen vielen widerstreitenden Akteuren geschlossen werden: Den SPD-Linken ebenso wie den starken Unionsländern und ihren profilsüchtigen Ministerpräsidenten. Warnung vor Eigentoren

Nun sagt die Kanzlerin: Geduld, wir schießen die Tore noch, die großen Reformen kommen bald. Die Mehrwertsteuererhöhung aber war ein Eigentor. Die Gesundheitsreform kann ein zweites Eigentor werden, wenn es bei dem bleibt, was sich abzeichnet: Ein drastischer Griff in die Portemonnees der Versicherten (siehe Bericht oben rechts). Mehr Geld in ein System, dass zwar gut, aber ineffizient ist. Ein System, das für die Versicherten immer teurer wird, auch, weil sich einige eine goldene Nase verdienen: Arzneimittelhersteller, Chefärzte, Kassenbosse. Dynamik, Wettbewerb, Eigenverantwortung müsste bei der Gesundheitsreform wie bei anderen Vorhaben die Leitidee des Spiels lauten, aber es gibt zu viele Lobbyisten in den eigenen Reihen dieser Regierung, die die Nutznießer schützen, und zu viele, die Angst vor Neuem haben. Dem Spiel fehlt es eindeutig an Führung, an der Bereitschaft zum Risiko. Man kann diese Bereitschaft nicht allein von der Kanzlerin verlangen, jedoch auch von ihr. Sie ist bisher kein Risiko eingegangen, sondern hat moderiert, hat die SPD um des lieben Koalitionsfriedens willen an keinem Punkt richtig unter Druck gesetzt und die eigene Partei mit dem Elterngeld nur ein bisschen. Das beste Beispiel für die Art der Kompromissfindung in der großen Koalition ist und bleibt das Antidiskriminierungsgesetz. Diese Lieblingsidee der SPD-Linken wurde selbst von der eigenen Parteispitze im Grunde als völlig überflüssig betrachtet und von der Union im Wahlkampf heftig befehdet. In der SPD gibt es jedoch keine Führung mehr, die so etwas stoppt. Wenigstens die Kanzlerin hätte sagen können: "Mit mir nicht". Sie wartete ab. Bis die CSU in der entscheidenden Koalitionsrunde am 1. Mai schließlich eine Paketlösung vorschlug, ein Koppelgeschäft wie auf dem Basar: Wir kriegen eine höhere Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft und stimmen diesem Gesetz dann zu. Es könnte zum System der Koalition werden, dass am Ende immer eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners formuliert wird und eine Politik zu Lasten Dritter, der Steuerzahler, der Versicherten, der Wirtschaft. Den Beweis des Gegenteils muss die Regierung noch antreten - zuerst bei der Gesundheitsreform.

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