Der Nachwuchs wird bürgerlicher

Trier · Dokument einer Umbruchzeit: So stellt sich die Studie über die Jugend in der Region Trier dar, die eine 20-köpfige Gruppe von Nachwuchs-Wissenschaftlern unter der Leitung von Soziologie-Professor Waldemar Vogelgesang ausgearbeitet hat.

 Ganz anders als das Klischee: Jugendliche in der Region, hier am Trierer Hauptbahnhof, (von links) Luca, Tobias, Filipp, Fabian, Robin, Anne, Larissa, Franziska. TV-Foto: Friedemann Vetter

Ganz anders als das Klischee: Jugendliche in der Region, hier am Trierer Hauptbahnhof, (von links) Luca, Tobias, Filipp, Fabian, Robin, Anne, Larissa, Franziska. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Manchmal lassen sich Veränderungen durch eine ganz simple Zahl ausdrücken. Als die Studenten von Sozialforscher Vogelgesang im Jahr 2000 ausrückten, um das Freizeitverhalten der Jugend in der Region zu erforschen, lag der Anteil an regelmäßigen Internet-Nutzern in der Altersgruppe von 14 bis 25 bei gerade mal 15 Prozent. Es herrschte online-mäßiges Mittelalter. Heute sind 91 Prozent fast täglich im world wide web unterwegs - eine regelrechte Revolution.
Casting-Shows als Orientierung


Nach Handys wurde damals gar nicht gefragt, Smartphones als Instrument der Freizeitgestaltung waren der blanke Futurismus. Der Begriff "Castingshow" stand noch in keinem Wörterbuch. Heute, so dokumentieren Vogelgesangs Zahlen, sind 60 Prozent der Jugendlichen aus der Region regelmäßig bei DSDS oder einem der Ableger dabei. Und die meisten davon glauben, dass die Kandidaten solcher Shows ein Vorbild sein können.
"Von einer solchen Orientierungs-Funktion können die Kirchen nur träumen", sagt Vogelgesang. Und doch hält er auch Tröstliches für die Religionshüter bereit: "Das Band zwischen Jugend und Kirche ist angespannt, aber nicht gerissen." Der Anteil Jugendlicher, der sich als gänzlich unreligiös einstuft, geht sogar zurück. Ein Austritt kommt für 70 Prozent nicht infrage. "Da wäre Potenzial", glaubt der Soziologe, "aber dann müsste sich die Kirche auf neue, jugendgemäßere Formen einlassen".
In ihre konkrete Lebensführung wollen sich die Jugendlichen freilich nicht hineinreden lassen. Sie sind in ihrer großen Mehrheit verantwortungsbewusst und leistungsbereit, bleiben aber durchaus Individualisten. Gegenüber der letzten Studie vor über zehn Jahren haben Werte wie Sicherheit und Verlässlichkeit zugelegt, das größte Vertrauen bei der jungen Generation genießt - man höre und staune - die Polizei. Ebenfalls ganz oben in der Werteskala: die Familie.
Spaß haben, aber keine Exzesse


Professor Vogelgesang spricht - wenn auch mit Augenzwinkern - von einer "Verbürgerlichung der Jugend in der Region". Das Leben soll zwar Spaß machen, aber der Trend geht weg von Koma-Partys und all zu exzessiven Vergnügungen. Stattdessen bekennt man sich zu einem gesunden Interesse an der eigenen beruflichen Perspektive. Das Gros der Jugendlichen ist über die eigenen Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten gut informiert. Wobei aber Bildungsinstitutionen oder Berufsberater nicht unbedingt die entscheidenden Tipps liefern.
Wichtigste Job-Ratgeber sind - noch vor den Eltern - Praktika und das Internet. Gerade das Medium, das viele Erwachsene für einen Kommunikations-Töter halten, dient der jüngeren Generation immer stärker als ideale, eigenständig zu nutzende Informationsquelle. Netzwerke würden als "soziales Kapital" begriffen und genutzt, sagt die Studie.
Besonders spannend sind die Erkenntnisse zum Thema Stadt-Land und zur regionalen Bindung. Kern-Erkenntnis: Die Attraktivität des ländliches Raums bei Jugendlichen aus der Region nimmt eher zu als ab. Man schätzt die heimatlichen Gefilde und ist durchaus bereit, für den Job einige Kilometer zu fahren. Man beharrt nicht auf dem Status quo, sucht aber nach Möglichkeiten, beruflich weiterzukommen und trotzdem in der Region zu bleiben. "Übergangs-Management" nennt das Prof. Vogelgesang - und empfiehlt der lokalen Politik, ähnliche Flexibilität zu entwickeln wie die Jungbürger.
Seine Studie könnte als Planungsgrundlage dienen, denn die Zahlen werden nun auf die Eifel und Trier detailliert heruntergebrochen. In diesen Prozess sollen auch die Fragen und Anregungen der örtlichen Jugendpflege-Experten einfließen.Extra

67 Prozent aller 14- bis 25-Jährigen in der Region sind Schüler und Studenten, nur 27 Prozent sind Azubis oder Berufstätige (statt 42 Prozent noch im Jahr 2000). Internet und Computer sind die großen Gewinner bei der Mediennutzung, Fernseh- und Bücher-Anteil sind seit 2000 fast gleich geblieben, Zeitungen sind zurückgegangen, Radio völlig eingebrochen (von 80 Prozent auf 43). Die Mitgliedschaft in Sportvereinen ist von 65 Prozent auf 49 Prozent geschrumpft. Zu Partys geht man seltener, dafür wird die Freizeit häufiger mit Faulenzen (neudeutsch: chillen) zu Hause gestaltet. Liebste Beschäftigung: Freunde treffen. Jugendzentren und -treffs sind nicht mehr angesagt: Die meisten Jugendlichen nutzen solche Einrichtungen nie. Andererseits stehen Jugendtreffs auf der Wunschliste ganz oben - aber offenbar andere als die vorhandenen. 80 Prozent der Jugendlichen sind davon überzeugt, dass sie ihr Leben erfolgreich meistern können und werden. 90 Prozent wünschen sich musikalischere, flottere, interaktive Gottesdienste mit Alltagsbezug statt Mess-Routine. 48 Prozent der jungen Migranten fühlen sich als Deutsche (2000: 32 Prozent), nur 6 Prozent sehen sich als Fremde. 70 Prozent der jungen Ausländer haben eine Beziehung mit einem deutschen Partner. 53 Prozent der Jugendlichen, die aus der Region wegziehen, können sich gut vorstellen, irgendwann zurückzukommen, nur 15 Prozent schließen das für sich aus.

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