Der Papst sollte über seinen Schatten springen

Die Eifeler seien ein dickköpfiger Menschenschlag, heißt es. Einer, auf den dies zutrifft, ist der aus Bitburg stammende Priester Stefan Hippler. Seit elf Jahren ist der 47-Jährige Pfarrer der katholischen deutschen Gemeinde im südafrikanischen Kapstadt. Und ein nimmermüder Kämpfer gegen die Weiterverbreitung des Aids-Virus. In dieser Funktion legt er sich sogar in einem dieser Tage erscheinenden Buch mit seinem Arbeitgeber, der katholischen Kirche, an. Hipplers Forderung: Der Papst muss die Benutzung von Kondomen freigeben. Mit Stefan Hippler sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz.

Bitburg. (sey) Das von Stefan Hippler in Südafrika initiierte Aids-Projekt "Hope" wird von Experten als beispielhaft gelobt. Zielgruppe sind infizierte Kinder und Eltern, die dort medizinisch betreut werden.In Deutschland gab es zuletzt Meldungen, wonach die Zahl der Aids-Infizierten wieder zunimmt. Wie ist die Situation in Afrika?Hippler: Im südlichen Afrika ist die Situation gravierend schlimm. Jeden Tag gibt es hier 2000 Neu-Infektionen. Und 1000 Infizierte sterben täglich.Eine Mitschuld daran geben Sie der katholischen Kirche, also Ihrer Kirche, weil sie Kondome verdammt. Was ist Ihr Hauptkritikpunkt?Hippler: Es geht nicht nur um die Frage der Kondome, sondern um eine ganze Bandbreite an Fragen. Beispielsweise auch darum, ob unsere Sexualmoral, die wir seit Thomas von Aquin (Anm. italienischer Philosoph und Kirchenlehrer des 13. Jahrhunderts) vor uns herschieben und in der Enzyklika Humanae Vitae (Anm. 1968 von Papst Paul VI. veröffentlicht) weiterentwickelt haben, noch zeitgemäß ist. Sollten wir nicht die Aids-Problematik als Zeichen der Zeit nehmen, um zu gucken: Stimmt unsere Moraltheologie noch mit dem überein, was wir auch an wissenschaftlichen Erkenntnissen haben? Auf gut Deutsch: Gibt es eine Korrelation zwischen Wissenschaft und Theologie? Papst Benedikt XVI. hat dies bejaht.Sie fordern in Ihrem Buch eine Aids-Theologie für Afrika. Was ist darunter zu verstehen?Hippler: Die Theologie muss Antworten geben auf die Fragen unserer Zeit. Nur ein Beispiel: Die leidige Kondom-Frage wurde in der Enzyklika 1968 geregelt im Zusammenhang mit der Frage Weitergabe des Lebens. Vier Jahrzehnte später stehen wir aber vor der Frage: Was passiert, wenn ein Aids-Infizierter mit jemanden verheiratet ist, der HIV-negativ ist? Da können wir nicht mit alten Antworten aus dem Jahr 1968 kommen. Die Frage, was heute Kondome bedeuten könnten im Einsatz zum Schutz von Menschen, muss neu überlegt werden. Sie fordern in diesem Zusammenhang ein klares Wort aus Rom. Was soll der Papst denn sagen?Hippler: Vieles. Schon allein deshalb, weil der Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche das Meiste zu sagen hat. Ich wünsche, dass er anerkennt, dass das Problem der Millionen Aids-Toten jährlich existiert. Wir müssen Wege finden, Menschen zu schützen und das Problem damit zu beseitigen. Das führt zwangsläufig zu der Frage, ob das, was wir heute lehren, immer noch relevant ist für die konkrete Situation.Nun war der Zeitgeist der katholischen Kirche immer relativ egal…Hippler: Das ist auch richtig. Kirche muss konservativ sein, weil es darum geht, Werte zu bewahren. Daher schlage ich ja auch das Prinzip der "oikonomia" vor. Das bedeutet: Wegen der größeren Liebe Gottes zu den Menschen wird eine Zwischenlösung geschaffen, die keinen Präzedenzfall schafft. Dieses Prinzip gibt es beispielsweise in der orthodoxen Kirche in Fragen der Ehescheidung. Die Scheidung ist zwar prinzipiell verboten. Trotzdem kann die Kirche einer Scheidung zustimmen, ohne einen Präzedenzfall zu schaffen. Genau dieses Vorgehen schlage ich der Kirche für die Anwendung von Kondomen vor, bis sie eine bessere Antwort hat. Die Kirche gewinnt Zeit, um nachzudenken. Und gleichzeitig werden Menschen geschützt.Was würde denn eine kirchliche Erlaubnis an der Situation vor Ort ändern?Hippler: Gerade in Afrika hören viele Menschen auf das, was ihre "leader", also die Führungspersönlichkeiten in den Gemeinden, sagen. Viele Menschen tun etwas wider besseres Wissen nur, weil es ihr Pfarrer oder Bischof am Sonntag gesagt hat. Mit klareren Worten könnten wir die Situation ändern. Sie sprechen sich in Ihrem Buch auch für HIV-Tests in allen Kirchen aus. Ist das nicht ein völlig abwegiger Gedanke?Hippler: Nein. Jeder sollte seinen HIV-Status wissen. Es darf nur keine Stigmatisierung erfolgen. Wenn jemand seinen Status erfährt und auch, wie er sich schützen kann, macht das Sinn. Es kann dem Vatikan kaum gefallen, wenn ein Priester im fernen Afrika die hohen Herren in Rom so lautstark kritisiert. Haben Sie keine Angst, vom Papst in die Schranken gewiesen zu werden?Hippler: Eine gewisse Ängstlichkeit ist da. Und ein Mensch, der keine Angst hat, ist eigentlich ein schlechter Mensch. Ich lebe seit knapp elf Jahren in Afrika, bin Tag für Tag mit diesem Thema beschäftigt. Und irgendwann muss man eine Entscheidung treffen. Das ganze Elend, was ich erlebe, muss sich niederschlagen in dem, was ich auch theologisch und kirchlich verarbeite. Es geht nicht darum, dem Papst zu sagen, was er machen soll. Ich plädiere nur für einen ergebnisoffenen Dialog, bei dem wir sehen, wo uns der Geist Gottes hinführt. Wie optimistisch sind Sie, in Rom nicht auf taube Ohren zu stoßen?Hippler: Ich bin ein Optimist, jemand, der hofft, gegen alle Hoffnungslosigkeit. Von daher hoffe ich, dass der Papst sich in dieser Sache bewegt. Benedikt XVI. ist ein intelligenter Theologe, der über seinen eigenen Schatten springen kann, wenn es um die Belange von Menschen geht. Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?Hippler: Bis 2009 bleibe ich auf jeden Fall noch in Kapstadt. Danach wird neu entschieden - letztlich von meinem Bischof in Trier und dem Auslandssekretariat der Bischofskonferenz. EXTRA Das von Stefan Hippler und dem "Zeit"-Autor Bartholomäus Grill verfasste Buch "Gott, Aids, Afrika" erscheint am Montag im Verlag Kiepenheuer & Witsch (17,90 Euro). Das Vorwort ist von Henning Mankell.

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