Der Paukenschläger von Atlanta

Ein aufstrebender Demokrat, dessen Namen noch vor kurzem kaum jemand kannte, lässt bei einer Nachwahl im eher konservativen Speckgürtel am Rande der Südstaatenmetropole Atlanta einen Paukenschlag dröhnen. Bei einem Duell, das drei Monate nach dem Amtsantritt Donald Trumps als aufschlussreicher Stimmungstest galt, hätte Jon Ossoff um ein Haar die absolute Mehrheit und damit auf Anhieb einen frei gewordenen Sitz im Abgeordnetenhaus gewonnen.

Er holte 48 Prozent der Stimmen, womit er seine härteste Konkurrentin, eine republikanische Politikveteranin namens Karen Handel, förmlich deklassierte. Handel kam nur auf 20 Prozent. Nun muss eine Stichwahl im Juni entscheiden, wer in den US-Kongress einzieht.
Nicht, dass Ossoff die Idealbesetzung wäre, um die Demokraten in der Rolle des jäh aufgetauchten Hoffnungsträgers aus dem Jammertal zu führen. Seit die Niederlage Hillary Clintons verdeutlichte, wie sehr sie mit der weißen Arbeiterschaft fremdeln, sucht die Partei händeringend nach Leuten, die zuschütten können, was sich im Verhältnis zu ihrer früheren Stammklientel an Gräben aufgetan hat. Ossoff aber ist so ziemlich das Gegenteil eines hemdsärmeligen Helden der Arbeiterklasse. Eher Weltbürger als Volkstribun, monieren seine Kritiker.
Schon im Alter von 17 Jahren machte er ein Praktikum in einem Abgeordnetenbüro, bei John Lewis, einer Legende der Bürgerrechtsbewegung. Später studierte er an der renommierten Georgetown University Internationale Beziehungen, dann drehte er Dokumentarfilme. In Wahlkampf-Interviews klangen seine sorgfältig abgezirkelten Sätze bisweilen, als hätte er sie auswendig gelernt. Was am ehesten hängen blieb, ist ein Fernsehspot, in dem er Trump die Leviten las. "Er blamiert uns nicht nur auf der Weltbühne, er könnte auch einen unnötigen Krieg vom Zaun brechen", sagte der 30-Jährige über den Mann im Weißen Haus.
Nun steht der sechste Wahldistrikt des Bundesstaats Georgia aber nicht für klassisches Arbeitermilieu, sondern für klassisches Suburbia, die scheinbar heile Welt der Mittelschichten mit Einfamilienhaus und Basketballkorb neben der Garagenauffahrt. Dort leben Menschen mit College-Abschluss, die Populisten mit einer gewissen Skepsis begegnen. Trump haben sie im November nur knapp den Vorzug vor Clinton gegeben, obwohl sich eine Mehrheit seit Längerem zu den Republikanern bekennt. Mit anderen Worten, es ist das Paradebeispiel eines Wahlkreises, in dem sich die Demokraten Chancen ausrechnen, wenn sie beim Kongressvotum im Herbst 2018 auf eine Protestwelle hoffen. Falls sie ins Rollen kommt, könnten sie den Republikanern sogar die - momentan sehr komfortable - Mehrheit im House of Representatives abnehmen. Jedenfalls dann, wenn die Ernüchterung über den großmäuligen Dilettanten Trump, der seinen zentralen Versprechen an Taten nur wenig folgen lässt, bis dahin anhält und frustrierte Wähler dem egozentrischen Angeber im Oval Office einen Denkzettel verpassen wollen.

Frank Herrmann

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