"Der Platz ist ihm zugewachsen"

ROM/TRIER. Warum konnten sich die Kardinäle so schnell auf einen neuen Papst einigen? Darüber sprachen wir mit dem aus Trier stammenden Vatikanexperten und Bestseller-Autor Ludwig Ring-Eifel.

Herr Ring-Eifel, überrascht, dass wir so schnell einen neuen Papst haben? Ring-Eiffel: Auf jeden Fall. Das hat alle überrascht. Warum konnten sich die Kardinäle so schnell auf Ratzinger einigen?Ring-Eifel: Kardinal Ratzinger hatte offenbar von Anfang an sehr viele Stimmen. Von Wahlgang zu Wahlgang wurde die Stimmenzahl höher, bis er in der vierten, entscheidenden Abstimmung weit über 77 wahrscheinlich sogar um die 100 Stimmen erhalten hat. Das war eine lawinenartige Konsensbildung. Womit hat Ratzinger bei den Kardinälen überzeugen können? Ring-Eifel: Das waren die vielen zentralen Auftritte in den vergangenen Wochen: Die Karfreitags-Meditation, die Papst-Beerdigung, die Eröffnung des Konklaves. Und jedes Mal hatte er einen tollen Auftritt, sehr programmatisch und viel beachtet. Dadurch ist ihm dieser Platz zugewachsen. Hatten Sie Ratzinger auf der Rechnung als Papst? Ring-Eifel:Spätestens nach der Eröffnungs-Predigt des Konklaves musste man mehr denn je mit ihm rechnen. Da hatte er genau den Ton getroffen, den die Kardinäle hören wollten. Die Erwartungen an Benedikt XVI. sind sehr hoch. Was erwarten Sie vom Papst? Ring-Eifel: Er ist sicher mehr als nur ein Übergangspapst. 78 Jahre ist ja heutzutage kein Alter. Wenn er gesund bleibt, kann er durchaus noch zehn, 15 Jahre am Ruder bleiben. In der Zeit kann er schon einiges bewegen. Er hat dafür das nötige Selbstbewusstsein, er hat den Rückhalt. Papst Benedikt kann mehr Reformen wagen, als ein progressiver Papst, der mit einer schwachen Mehrheit gewählt worden wäre. Wird Benedikt XVI. ein politischer Papst werden? Ring-Eifel: Zwangsläufig. Weil die politischen Themen der nächsten Jahre etwas mit Kirche zu tun haben werden zum Beispiel Bioethik oder Genmanipulation. Das andere Thema ist Europa und der EU-Beitritt der Türkei. Damit verbunden ist natürlich die Diskussion über den Islam. Auch da wird sich die Kirche zu Wort melden. Politische Konflikte sind also programmiert. Wird Ratzinger in der Öffentlichkeit unterschätzt, vor allem von seinen Kritikern? Ring-Eifel: Wenn man ihn plakativ nur auf eine Denkrichtung festlegt, dann wird er mit Sicherheit unterschätzt. Er ist viel zu intelligent, um einen platten Konservativismus zu vertreten. Er wird sich genauso wenig klar einordnen lassen wie Johannes Paul II., der auf der einen Seite sehr konservativ war und auf der anderen Seite sehr viel riskiert hat. Zum Beispiel den Dialog mit den anderen Religionen, sein Eintreten für den Frieden, seine Kritik am Kapitalismus. Das war ja alles andere als konservativ. Wie groß ist denn überhaupt der politische Einfluss des Papstes und des Vatikans? Ring-Eifel: Der Einfluss ist in den vergangenen 50 Jahren enorm gewachsen. Davor war der Papst eher ein rein geistliches, religiöses Oberhaupt. Seit Johannes XXIII. haben sich die Päpste sehr intensiv in die Politik eingemischt und die diplomatischen Beziehungen ausgebaut. Der Vatikan unterhält mittlerweile Beziehungen zu über 170 Staaten.Das Wort des Papstes hat, gerade weil die Welt so unübersichtlich wird, immer mehr Gewicht. Er ist eine moralische Weltmacht. Beweis dafür ist doch, dass drei amerikanische Präsidenten vor dem toten Papst im Petersdom gekniet haben. Das sagt alles. Mit Ludwig Ring-Eifel sprach unser Redakteur Bernd Wientjes.

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