Der Präsident führt ein neues Vokabular auf den Lippen

Paris · Verwundert kneifen sich die Franzosen derzeit in den Arm: Meint er es ernst oder blufft er nur? Präsident François Hollande benutzt neuerdings Worte, die aus dem Munde eines französischen Sozialisten völlig ungewohnt klingen.

Paris. Ist es derselbe Präsident, der seit 20 Monaten im Amt ist, oder ein neuer, gewandelter François Hollande, einer, der den Ernst der Lage begriffen hat? Der Sozialist, der vor grundlegenden Reformen bisher zurückschreckte und kein anderes Rezept zu kennen schien, als permanent an der Steuerschraube zu drehen, um die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone aus der Rezession zu führen, hat seit dem Jahreswechsel plötzlich ein neues Vokabular auf den Lippen.
Von einer ernsthaften "Senkung der öffentlichen Ausgaben" spricht er plötzlich, von "Steuer- und Abgabenentlastungen für Unternehmer", von "einem Pakt für Arbeit". Was er in seiner Neujahrsansprache bereits andeutete, wird der Präsident in den kommenden Tagen und Wochen weiter ausführen, jetzt, da in Frankreich wieder die berühmte Tradition der "voeux" beginnt - der Reigen der Neujahrswünsche, vor den Beamten und Richtern, vor Religionsvertretern, den Soldaten und schließlich den Journalisten. In diversen Reden und einer Pressekonferenz Mitte Januar will Hollande darlegen, wie er die Arbeitskosten senken und den Niedergang der Industrie stoppen will.
Während Arbeitgeber sowie konservative Politiker und Medien den bisher noch vagen neuen Ansatz begrüßen, werfen Vertreter der Linksfront Hollande vor, einen "liberalen" Kurs einzuschlagen.
Der Begriff "liberal" ist vielen Linken im Land noch immer ein Dorn im Auge, ebenso wie "Kapitalismus". So war Hollande auch mit dem Versprechen gewählt worden, mit den "Exzessen der Finanzwelt" zu brechen, und setzte seit Amtsantritt vor allem auf die alten sozialistischen Rezepte, um das Haushaltsdefizit in den Griff zu kriegen: Steuern rauf, Arbeitszeit runter und nur bedingt sparen. Allein 2013 wurden den Franzosen rund 30 neue Steuern und Abgaben im Wert von 20 Milliarden Euro aufgebürdet. Mit einer Quote von über 46 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung hat Frankreich inzwischen europaweit mit die höchste Steuer- und Abgabenlast.
Die Arbeitslosigkeit wiederum versuchte die Regierung bisher mit subventionierten Jobs für Jugendliche zu senken, auf Staatskosten, versteht sich. Dennoch kletterte die Erwerbslosenquote auf den Rekord von rund elf Prozent - obwohl Hollande versprochen hatte, die Kurve bis Ende 2013 umzukehren. Jetzt setzt der Sozialist offenbar erstmals auf einen Deal mit den Arbeitgebern.Das Versprechen: Mehr Dialog


Den Unternehmern bot er einen "Pakt der Verantwortung" an: "Niedrigere Arbeitskosten und weniger Auflagen im Gegenzug für mehr Neueinstellungen und mehr Dialog mit den Gewerkschaften." Worte, auf die Frankreichs Arbeitgeber lange gewartet haben, auch wenn sie im Munde eines französischen Sozialisten ungewohnt klingen mögen.
"Viele fragen sich, was nur plötzlich in den Präsidenten gefahren ist", wundert sich etwa die Zeitung l\'Opinion und spekuliert, ob es sich dabei nicht nur um "einen großen Bluff" handelt - einen PR-Coup Hollandes, um seine bisherigen Misserfolge vergessen zu machen und Zeit zu gewinnen. Problematisch ist, dass der Präsident so viele Wahlversprechen nicht oder nur so minimal umgesetzt hat, dass ihm viele Franzosen schon gar nicht mehr trauen. Und die, die es noch tun, fragen sich, ob er es überhaupt vermag, so einen Kurswechsel durchzuziehen.
Damit, so schlussfolgert das Blatt, werde jetzt zu Jahresbeginn vor allem eines klar: dass "der Staatschef ein erhebliches Autoritätsproblem hat".

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