Der spanische Schatten

Es sind apokalyptische Zahlen, die aus Madrid gemeldet werden: 200 Tote, 1400 Verletzte. Hinzu kommen Millionen Menschen in aller Welt, die von den Bomben der (noch) anonymen Fanatiker mitten ins Herz getroffen wurden.

Deutschland gehört in besonderer Weise zu den be- und getroffenen Ländern, auch weil zahlreiche Bundesbürger die spanische Kultur lieben und ihren Urlaub gern in dem traditionellen Sonnenparadies verbringen. Politisch hat sich die Sonne im Südwesten Europas allerdings wieder verdunkelt, und der Schatten reicht bis tief in die Europäische Union hinein. Dabei spielt es vordergründig keine Rolle, welcher Nationalität die Täter sind und welche Motive sie zu ihren furchtbaren Taten getrieben haben. Für die Opfer macht es ohnehin keinen Unterschied, ob sie von seelisch verkrüppelten Eta-Terroristen massakriert wurden oder von kranken El-Kaida-Kämpfern, die in ihrer Verblendung jedes Maß verloren haben. Wichtig für Spanien, für die EU, für die ganze Welt sind vorerst nur zwei Dinge: Wie lässt sich der Wahnsinn stoppen, wie sind die Täter zur Rechenschaft zu ziehen? Am Freitagabend war noch nicht klar, welchem Täterkreis die Anschläge zuzurechnen sind. Deshalb ist es für die deutschen Sicherheitsbehörden auch so schwierig, sich effizient und zielgerichtet für ein mögliches Überschwappen des internationalen Terrors auf Deutschland zu wappnen. Wäre die Tat der Eta zuzuordnen, würden sich nach Ansicht des Bundesinnenministeriums keine Konsequenzen aus der Katastrophe ergeben. Bislang haben sich die Terror-Aktionen der baskischen Separatisten jedenfalls auf das spanische Festland konzentriert. Hätte jedoch El Kaida zugeschlagen, wie manche Indizien vermuten lassen, dann müsste diese Tat womöglich als Auftakt einer verhängnisvollen Entwicklung interpretiert werden, vor der auch Deutschland nicht gefeit wäre. Angeblich ist zwischen Kiel und Konstanz "keine Neubewertung der Sicherheitslage” erforderlich (Innenminister Schily). Eine mutige Aussage zu einem Zeitpunkt, der alles andere als zuverlässige Informationen bereit hält. Andererseits: Was soll Schily tun? Den Teufel an die Wand malen? Angst und Schrecken verbreiten? Nein, der Minister handelt durchaus angemessen, wenn er in relativierender und beruhigender Weise den Sachverhalt darstellt. Er handelt auch recht, dem Ansinnen der Union zu widersprechen, die scheinbare Allzweckwaffe Bundeswehr auch im Innern einsetzen zu lassen. Soldaten sind keine Polizisten, und sie sollen es auch nicht sein. Wer der Bevölkerung vorgaukelt, ein Beschluss des Bundestages zur Neudefinition der Aufgaben der Bundeswehr verbessere die Sicherheitslage, handelt unredlich. Madrid macht deutlich: Die Welt, in der wir leben, wird immer grotesker, gefährlicher, unverständlicher. Deprimierend wirkt auch der Umstand, dass offenbar niemand ein Patentrezept parat hat, wie die Pest der Neuzeit - Separatismus, Fundamentalismus, Terrorismus - einzudämmen ist. Nackte Gegengewalt, das Beispiel Israel zeigt es, hilft auch nicht weiter. Vermutlich heißt die beste Medizin ganz einfach Respekt und Hilfe. Für Palästinenser, für Basken, für alle Minderheiten. nachrichten.red@volksfreund.de

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