"Der SPD kann nur ein Knaller helfen" Worte und Taten: Wie sich die SPD von den Linken abgrenzt - und umschwenkt

SPD-Chef Kurt Beck und seine Partei stecken nach wie vor tief im Umfragekeller. Nur 14 Prozent der Bürger würden sich im direkten Vergleich mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für den Pfälzer entscheiden. Nach einigen Wirren will die SPD ihren Abgrenzungsschwur gegenüber der Linkspartei nun doch förmlich wiederholen. Ob es hilft, darf allerdings bezweifelt werden.

Berlin. (ve) Ist Beck noch zu retten? Unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter sprach darüber mit dem Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid, Klaus-Peter Schöppner.Herr Schöppner, was haben die Leute gegen Kurt Beck?Schöppner: Kurt Beck hat das größte Kapital, das ein Politiker in dieser Zeit haben muss, verspielt, nämlich Vertrauen. Aus kontinuierlichen Befragungen wissen wir, dass sich die Kriterien der Wertschätzung für Politiker bei den Bürgern gewandelt haben.Inwiefern?Schöppner: Früher rangierten Kompetenzen ganz vorn. Heute traut man Politikern nur noch wenig zu, etwas bewegen zu können. Umso stärker wiegt der Eindruck, ob ein Spitzenpolitiker authentisch ist und sein Bestes gibt zum Wohl der Bürger und nicht aus parteitaktischen Erwägungen. Heute so und morgen ganz anders, das ist drastisch formuliert der Tod eines jeden Politikers.Was heißt das konkret für Beck?Schöppner: Beck hat zu viele Pirouetten gedreht. Erst sollte gar nichts mit den Linken gehen, aber dann in Hessen irgendwie doch. Erst wollte er keinen eigenen Kandidaten gegen Horst Köhler, jetzt ist alles anders. Kurzum, die Leute können sich nicht auf Becks Wort verlassen. Ich wüsste nicht, wie sich dieser Schaden reparieren lässt. War es eine falsche Entscheidung, mit Gesine Schwan eine eigene Kandidatin zu nominieren?Schöppner: Ja und nein. Nein, weil es dem Selbstbewusstsein der SPD guttut. Ja, weil die Entscheidung mit dem Makel von Becks Unzuverlässigkeit behaftet ist.Muss sich die SPD einen neuen Chef suchen?Schöppner: Das wäre eine Möglichkeit. Die andere wäre, eine konsistente Politik zu machen, was aber nur langfristig geht. In der schlechten Lage, in der Beck steckt, kann eigentlich nur ein Knaller, ein Paukenschlag helfen.Was könnte das sein?Schöppner: Die SPD könnte zum Beispiel Franz Müntefering wieder aus der Versenkung hervorholen. Er ist authentisch und verkörpert die bei Beck schmerzlich vermisste Glaubwürdigkeit.Aber Müntefering hat sich selbst aus dem Rennen genommen, als er den Parteivorsitz schmiss und später sein Minister-Amt.Schöppner: Seinen Rückzug hat er aus verständlichen privaten Gründen gemacht. Außerdem wurde ihm übel von der Partei mitgespielt. So haben es jedenfalls viele Bürger empfunden. Wer sollte bei der SPD Kanzlerkandidat werden?Schöppner: Auch hier sollte die Partei Müntefering in Erwägung ziehen. Mit Beck ist ihre Niederlage programmiert. Und bei Frank-Walter Steinmeier sehe ich das Problem, linksorientierte Wähler an die SPD zu binden. Dadurch könnte die Linkspartei noch stärker werden.Beck plant einen weiteren Abgrenzungsbeschluss gegen die Linkspartei. Was halten Sie davon?Schöppner: Nichts. Die Leute haben den Konflikt über die rot-rote Zusammenarbeit in Hessen nicht vergessen. Rund zwei Drittel von ihnen halten es nach unseren Erhebungen für unglaubwürdig, dass die SPD nichts mit den Linken zu tun haben will.Was kann die SPD daraus lernen?Schöppner: Gegen zwei Drittel der Bevölkerung anzulaufen, ist schwer möglich. Die SPD muss die inhaltlichen Unterschiede zur Linken herausarbeiten. Und sie soll standhaft bleiben. Das heißt auch, Niederlagen einzukalkulieren, obwohl man rechnerisch mit den Linken an die Macht käme. Berlin. (ve) In der Bundeszentrale der SPD schwankt man seit 1990 zwischen Berührungsängsten und Machtkalkül. Die erste rot-rote Kooperation datiert vom Juli 1994. Damals ließ sich Reinhard Höppner (SPD) in Sachsen-Anhalt im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit unter Tolerierung der PDS zum Ministerpräsidenten einer rot-grünen Minderheitsregierung wählen. Es war die Geburtsstunde des "Magdeburger Modells" - und der Ausgangspunkt für die "Rote-Socken"-Kampagne der Union. Noch wenige Wochen zuvor hatte Höppner erklärt, "lieber eine große Koalition in Kauf (zu) nehmen, als mit der PDS zusammenzuarbeiten". Am 11. August 1994 ließ der damalige SPD-Chef Rudolf Scharping dann eine "Dresdner Erklärung" verabschieden, in der es klipp und klar hieß: "Eine Zusammenarbeit mit ihr", also der PDS, "kommt für uns nicht in Frage". Zu den Unterzeichnern gehörte auch der SPD-Vorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, Harald-Ringstorff. Er versuchte bereits im Jahr darauf, ein rot-rotes Kabinett in Schwerin zu installieren. Scharping hielt dagegen. So kam diese Koalition mit Billigung seines Nachfolgers Oskar Lafontaine erst 1998 zustande.Ein paar Jahre später segelte Klaus Wowereit auf der Welle Höppners und Ringstorffs. Vor den Berliner Senatswahlen im Oktober 1999 hieß es noch aus der Hauptstadt-SPD, für sie gebe es keine Duldung durch die PDS. So wurde die große Koalition zunächst auch fortgesetzt. Im Juni 2001 ließ sich Wowereit jedoch mit den Stimmen der PDS an die Spitze eines rot-grünen Minderheitssenats wählen. 2002 wurde daraus eine offene rot-rote Koalition. Vorläufiger Höhepunkt des Wortbruchs ist die Landtagswahl in Hessen im Januar. "Mit der Linkspartei geht nichts", hatte Kurt Beck ein halbes Jahr zuvor erklärt. Doch nach der Wahl befürwortete die Parteiführung eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Duldung der Linken.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort