Der Staat bedrängt seine Bürger für den guten Zweck

Berlin · In einer außergewöhnlich emotionalen Debatte hat der Bundestag eine weitreichende Reform der Organspende auf den Weg gebracht. Möglichst viele der 12 000 Todkranken auf der Warteliste für ein Organ sollen gerettet werden. Deshalb sollen die Menschen in Deutschland ab Sommer erklären, ob sie ihre Organe nach dem Tod spenden.

Berlin. Über Jürgen Trittins Privatleben weiß man praktisch nichts, außer dass er Fahrrad fährt, joggt und eine Freundin hat, mit der er sich aber fast nie zeigt. Gestern im Bundestag wurde der Fraktionschef der Grünen plötzlich sehr persönlich. Er habe einmal eine Lebensgefährtin durch einen Unfall verloren und deren Kinder und Angehörige über den Tod informieren müssen. "Ich wäre froh gewesen, wenn sie mir über ihren Willen eine klare und unmissverständliche Botschaft hinterlassen hätte", sagte Trittin. Es ging um die Neuregelung der Organspende, also eine existenzielle Frage. Trittin war nicht der einzige, der seine ganz privaten Gedanken einbrachte.
Im Bundestag hat sich eine besonders große Koalition gebildet, eine parteiübergreifende Initiative. Sie will, dass jeder Deutsche demnächst von seiner Krankenkasse angeschrieben und mit dem Thema konfrontiert wird. Das soll wiederholt werden. Später soll auch bei der Passbeantragung nach der Bereitschaft zur Organspende gefragt werden. Der Staat bedrängt seine Bürger.
Aus gutem Grund. 12 000 Menschen warten dringend auf eine Organtransplantation, etwa 1000 sterben jährlich, weil es zu wenige Spender gibt. Zeitgleich mit dem Gesetz, das gestern in erster Lesung beraten wurde, soll eine große Informationskampagne gestartet werden, wie Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) ankündigte. Außerdem wird das Transplantationsgesetz novelliert: Beratung und Entnahme sollen in den Krankenhäusern besser organisiert werden, unter anderem mit einem Transplantationsbeauftragten in jeder Klinik.
Bahr dankt Steinmeier


Und für Lebendspender (etwa einer Niere) soll es klarere Regelungen geben, wer für Verdienstausfälle und gesundheitliche Folgekosten aufkommt.
Die beiden Fraktionschefs von CDU/CSU und SPD, Volker Kauder und Frank-Walter Steinmeier, waren die Antreiber der Reform. Kauder wohl auch, weil seine Frau Elisabeth Ärztin ist und die Lage kennt. Die neue Initiative werde die Spenderzahlen zwar nicht sprunghaft steigen lassen, sagte der Unionspolitiker. Aber mittelfristig werde sie die Situation verbessern. Steinmeier hatte im vorigen Jahr seiner Frau Elke eine Niere gespendet. Dafür dankte ihm Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) ausdrücklich und sagte, das habe das Thema wieder in die öffentliche Diskussion gebracht.
Mehrere Redner, so auch FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle und Gesundheitsminister Bahr, zeigten während ihrer Auftritte ihre eigenen orangefarbenen Spenderausweise vor. Mit der parteiübergreifenden Einigung sind andere Lösungen verworfen worden. Etwa die sogenannte Widerspruchslösung, bei der jeder automatisch als Organsspender gilt, es sei denn, er widerspricht dem zu Lebzeiten aktiv.
Auch Anreize, etwa geringere Kassenbeiträge oder Bevorzugungen bei eigener Bedürftigkeit für eine Organspende, wurden abgelehnt. "Wir wollen nicht die Kommerzialisierung des eigenen Körpers", sagte Steinmeier.
Am umstrittensten war bis zuletzt, wie die Entscheidung des Einzelnen künftig dokumentiert werden soll. Die Lösung: Vorerst bleibt es bei dem orangefarbenen Organspenderausweis, den jeder bei sich tragen kann. Eintragungen in ein Zentralregister gibt es nicht. Ein Vermerk auf der neuen elektronischen Gesundheitskarte soll künftig grundsätzlich zwar möglich sein, allerdings ist derzeit die Technik noch nicht weit genug.

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