"Der Ton ist schärfer geworden"

Abgeordnete auf Bordellbesuch oder in Polizeicomputern schnüffelnd, eine Landesregierung, die sich beim Nürburgring auf mutmaßliche Betrüger eingelassen hat: Affären erschüttern Rheinland-Pfalz. Verkommt die politische Kultur im Land? "Nein, aber sie leidet", sagt Landtagspräsident Joachim Mertes im TV-Interview.

Mainz. (fcg) Kaum einer kennt die Landespolitik so genau wie der gebürtige Trierer Joachim Mertes (60). Seit 1983 sitzt der Sozialdemokrat im Landtag. Seit dem 18. Mai 2006 ist der gelernte Bäcker Präsident des Hohen Hauses. Ein Amt, das er gerne auch in der nächsten Wahlperiode ausüben würde, verrät Mertes im Gespräch mit TV-Redakteur Frank Giarra.

Hebgen-Affäre, Nürburgring-Affäre, Polizeidaten-Affäre - was ist los in der Landespolitik, Herr Mertes?

Joachim Mertes: Ach, wissen Sie, vor 25 Jahren ging mal ein Abgeordneter mit einer Pistole einkaufen. Das hätte vorher auch niemand gedacht. Was wir momentan haben, ist ein zufälliges, unglückliches Zusammentreffen politischer Fehleinschätzungen einerseits und vieler Unkorrektheiten andererseits. Das Ansehen des Landesparlaments wird dadurch natürlich nicht gesteigert. Das Bild des Politikers verdüstert sich. Es wird schwerer, dem Bürger Sachverhalte zu erklären.

Ist es mit der Beschaulichkeit in Rheinland-Pfalz vorbei?

Mertes: Das würde ich nicht sagen. Nach wie vor läuft bei uns vieles sehr gut und ruhig ab. Der Ton ist allerdings seit der letzten Wahl schärfer geworden. Wir haben festgestellt, dass im Landtag und in den Ausschüssen das Wort "Lüge" immer öfter verwendet wird, wobei die Opposition ein Übergewicht hat. Was ich ihr nicht ankreide, denn sie muss wahrgenommen werden. Insgesamt ist diese sprachliche Verwahrlosung allerdings nicht gut.

Wie bewerten Sie die politische Kultur hierzulande im Vergleich zu anderen Bundesländern?

Mertes: Bei der Affären-Lastigkeit liegt das Land nicht an der Spitze. Da sind wir noch gut dran. Schauen Sie nach Bayern, da geht es bei dem Desaster um die Landesbank um Milliarden. Und mit Hessen würde ich nicht tauschen wollen. Dort ist alles noch fünf Grad kühler. Eine Krise der politischen Kultur sehe ich nicht.

Gegen den ehemaligen CDU-Fraktionsgeschäftsführer Markus Hebgen, der in die Fraktionskasse gegriffen haben soll, wird ermittelt. Die CDU-Abgeordneten Peter Dincher und Michael Billen sind aufgrund von Schnüffeleien in Polizei-Daten ebenfalls ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten.

Mertes: Vor Fehlern oder gar krimineller Energie Einzelner ist man nie gefeit. Das Problem ist, dass manche glauben, sie könnten ihre Regeln selbst machen. Die Regeln macht der Landtag, daran hat sich jeder zu halten. Und diejenigen, die es betrifft, müssen die Dinge wieder in Ordnung bringen. Das Parlament muss insofern seine Selbstreinigungskräfte aktivieren.

Hebgen behauptet, vier CDU-Abgeordnete seien mit ihm in einem Bordell gewesen…

Mertes: Die Rechnung wurde offenbar mit der Kreditkarte der Fraktion bezahlt. Das sind unsachgemäße Ausgaben, die Straftaten sind und bestraft werden müssen.

Der Wissenschaftliche Dienst des Landtags hat die ruhende Fraktionsmitgliedschaft Billens geprüft. Was ist dabei herausgekommen?

Mertes: Ruhen gibt es nicht! Entweder ist man Mitglied einer Fraktion oder nicht. Ein Abgeordneter hat Rechte und Pflichten, er muss sich an der Arbeit des Parlamentes beteiligen. Verträge oder Absprachen zwischen Einzelnen und ihrer Fraktion sind für uns nicht maßgeblich. Der Abgeordnete Billen ist bei der CDU, also berechnen wir weiter Fraktionsgelder für 38 Abgeordnete. Auch sein Rede- und Fragerecht als Abgeordneter darf nicht beschnitten werden. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen. Das Ergebnis unserer Prüfungen werden wir den Fraktionen in Kürze vorlegen.

Was bedeutet dieser einmalige Fall in der Praxis?

Mertes: Da bin ich sehr gespannt! Sollte ich nicht präsidieren, sondern auf der Abgeordnetenbank Platz nehmen, sitzt Herr Billen direkt neben mir. Dann hat er einen interessanten Gesprächspartner, natürlich nur zwischen und nicht während der Debattenbeiträge der Kolleginnen und Kollegen.

Wie bewerten Sie die Nürburgring-Affäre?

Mertes: Das ist eine Kette von Fehlern und Fehleinschätzungen. Die Landesregierung bewegt sich auf dünnem Eis, das ist sehr unangenehm. Aber sie hat durch den Rücktritt von Ex-Finanzminister Ingolf Deubel mit dem Härtesten gebüßt, was in der Demokratie möglich ist. Ein Untersuchungsausschuss des Landtags, den alle drei Fraktionen beantragt und beschlossen haben, bereitet die Vorgänge auf. Im Übrigen gilt es, den Blick nach vorn zu richten und das Projekt ins Laufen zu bringen.

Sie sind seit 27 Jahren Abgeordneter. Treten Sie bei der Landtagswahl 2011 noch einmal an?

Mertes: Ich bin darum gebeten worden zu kandidieren und mache das sehr gerne. Sollte ich wieder zum Präsidenten gewählt werden, hätte ich übrigens noch ein großes Ziel: Der Landtag, in den Jahren 1729 bis 1740 erbaut und zuletzt vor 60 Jahren renoviert, ist dringend sanierungsbedürftig. Wir müssen die Bedingungen für Mitarbeiter, Abgeordnete und Besucher verbessern und an die Bedingungen eines modernen Parlamentsbetriebs anpassen. Es gibt mehrere Planvarianten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort