"Der Träger muss jeden Zweifel ausräumen"

Die Reaktionen der Verantwortlichen des Hillesheimer Pflegeheimes, in dem innerhalb kurzer Zeit neun Bewohner gestorben sind, seien typisch, sagt der bekannte Pflegeexperte Claus Fussek. Er hält die Vorfälle nicht für Einzelfälle.

Hillesheim. "Ein Heim ohne Mängel kann es überhaupt nicht geben." Für den Münchener Pflegeexperten Claus Fussek ist klar, dass in fast jedem Pflegeheim Fehler passieren, oft durch die Überlastung der Pflegekräfte oder wegen zu geringer Qualifikation der Mitarbeiter.

Die Vorfälle im Hillesheimer Pflegeheim Katharinenstift, in dem neun Bewohner innerhalb kurzer Zeit gestorben sind, sind laut Fussek keine Einzelfälle. Immer wieder komme es in Heimen vor, dass Bewohner aus ungeklärter Ursache stürben. Und die Reaktionen der Verantwortlichen darauf seien meist wie die in Hillesheim: "Zunächst wird alles abgestritten, Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter werden als Zeugen vorgeführt und Kritiker als Nestbeschmutzer beschimpft." Die Wortwahl bei der Reaktion auf die Kritik der Söhne einer verstorbenen Bewohnerin sei jedenfalls auffällig. "Das sind die üblichen Reflexe von Heimträgern", sagt der Pflegekritiker.

Die beiden Söhne machen dem Heim schwere Vorwürfe: Pflegekräfte hätten sich nicht ausreichend um ihre Mutter gekümmert.

Die Trägerin des Hillesheimer Heimes, die Maternus-Gesellschaft, hat die Vorwürfe zurückgewiesen und ihrerseits betont, die Bewohner seien nicht vernachlässigt worden.

Die Söhne haben ebenso wie eine Tochter einer anderen gestorbenen Bewohnerin Strafanzeige gestellt. Sie wollen wissen, was sich am 23. März in dem Heim zugetragen hat. An dem Tag waren die zwölf Bewohner eines Traktes erkrankt und mussten in Krankenhäuser gebracht werden.

Alle diese Heimbewohner litten an den gleichen Symptomen: Durchfall, Erbrechen und Atemnot. Sie mussten künstlich beatmet werden.

Ob die Vorwürfe der Angehörigen zutreffen, weiß Fussek natürlich nicht: "Ich kann nur im Interesse der alten Menschen in dem Heim hoffen, dass die Vorhaltungen unrichtig sind."

Fälle wie die in Hillesheim seien zwar nicht die Regel in Pflegeheimen, "aber auch nicht die Ausnahme", sagt der Sozialpädagoge Fussek, der sich seit 30 Jahren für bessere Zustände in den Einrichtungen einsetzt. "Es ist erschütternd, wie in einigen Heimen mit den Bewohnern umgegangen wird."

Die Ursachen für die rätselhafte Erkrankungswelle und die Todesfälle kennt Fussek ebensowenig wie die derzeit ermittelnde Staatsanwaltschaft.

Allerdings wirft Fussek den Verantwortlichen des Hillesheimer Heimes vor, nicht von Anfang an offensiv mit den Erkrankungen und Todesfällen umgegangen zu sein. Im Interesse der Einrichtung hätte man direkt nach den ersten Fällen an die Öffentlichkeit gehen und Selbstanzeige machen sollen, um die Ermittlungen voranzutreiben. "Der Träger muss alles tun, um jeden Zweifel und jedes Misstrauen gegenüber dem Haus auszuräumen. Ansonsten herrscht doch ein Klima der Angst bei den Bewohnern, den Mitarbeitern und den Angehörigen."

Fussek fordert, dass in allen Pflegeheimen Ärzte beschäftigt werden, die in Fällen wie denen in Hillesheim sofort reagieren können. "In jedem Gefängnis ist die medizinische Versorgung besser als in Pflegeheimen", kritisiert Fussek.

Noch immer ist die Ursache der Erkrankungswelle unklar. Auch die Todesursache bei fünf der neun gestorbenen Bewohner konnte noch nicht endgültig geklärt werden.

Die Ergebnisse der toxikologischen Gutachten durch die Rechtsmedizin stehen noch aus. Sie sollen im Laufe der Woche vorliegen.

Auch die Ergebnisse der Untersuchungen der Zimmer und des betroffenen Wohntrakts durch Experten eines Analyse-Instituts sind noch nicht abgeschlossen. Anfang voriger Woche waren die Experten erneut in dem Heim. Sie haben die Lüftungskanäle unter die Lupe genommen. Offensichtlich wird nicht ausgeschlossen, dass die Ursache für die Erkrankungen durch die Lüftung in die Zimmer der betroffenen Bewohner gelangt ist.

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