Der tragische Verlierer

Mainz · Seit 22 Jahren gehört er dem Landtag an. Neun Jahre war er Vorsitzender und Fraktionschef der CDU Rheinland-Pfalz, vier Jahre stellvertretender Bundesvorsitzender. Ende des Monats legt Christoph Böhr sein Landtagsmandat nieder und verlässt die politische Bühne. Sein Nachfolger in Mainz wird der Trierer Bertrand Adams.

 Christoph Böhr - Der Philosoph: Christoph Böhr wurde am 1. Februar 1954 in Mayen geboren. Er war bei der Landtagswahl 2006 Spitzenkandidat der CDU gegen Kurt Beck. Der Versuch der rheinland-pfälzischen CDU-Bezirksvorsitzenden, ihn zum Rücktritt von der Spitzenkandidatur zu bewegen, scheiterte. In der ersten Mitgliederbefragung der Geschichte der rheinland-pfälzischen CDU setzte er sich jedoch 2005 gegen deren Initiator, den Trierer Bezirksvorsitzenden Peter Rauen, durch. Nachdem dort die CDU mit 32,8 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte in Rheinland- Pfalz erzielt hatte, trat er noch am Wahltag von seinen Ämtern als CDU-Landesvorsitzender und Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion zurück. Foto: Archiv

Christoph Böhr - Der Philosoph: Christoph Böhr wurde am 1. Februar 1954 in Mayen geboren. Er war bei der Landtagswahl 2006 Spitzenkandidat der CDU gegen Kurt Beck. Der Versuch der rheinland-pfälzischen CDU-Bezirksvorsitzenden, ihn zum Rücktritt von der Spitzenkandidatur zu bewegen, scheiterte. In der ersten Mitgliederbefragung der Geschichte der rheinland-pfälzischen CDU setzte er sich jedoch 2005 gegen deren Initiator, den Trierer Bezirksvorsitzenden Peter Rauen, durch. Nachdem dort die CDU mit 32,8 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte in Rheinland- Pfalz erzielt hatte, trat er noch am Wahltag von seinen Ämtern als CDU-Landesvorsitzender und Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion zurück. Foto: Archiv

Der 26. März 2006 muss ein einschneidender Tag im Leben des Christoph Böhr gewesen sein. Ein Tag, an dem er sich vermutlich weit weg gewünscht hat von allem, was mit Politik zu tun hat. Während sich Ministerpräsident Kurt Beck nach seinem grandiosen Sieg bei der Landtagswahl im Scheinwerferlicht sonnt, sucht der zum zweiten Mal nach 2001 geschlagene Herausforderer Böhr vor den Kameras und Mikrofonen nach Erklärungen für die verheerende Schlappe der Union. Nur 32,8 Prozent der Wählerstimmen hat sie verbucht, noch weniger als fünf Jahre zuvor (35,3 Prozent). Die angestrebte Regierungsübernahme ist kläglich gescheitert. Noch am Abend tritt Böhr von seinen Ämtern zurück. Der Anfang vom Ende seiner langen politischen Karriere ist eingeläutet.

Christoph Böhr hat seinen Teil zur Niederlagenserie der Union im Land beigetragen. Der Spitzenkandidat hat es nie geschafft, dem beliebten Landesvater Beck auch nur annähernd den Rang abzulaufen. Weil er zu intellektuell, als "Kopfmensch", daherkam. Weil er keine Themen besetzen konnte, die genügend Wählerstimmen sicherten. Weil er die eigenen Truppen nicht hinter sich scharen konnte. Das ist die große Tragik des Trierers, der niemals eine Wahl gewann: Sein Scheitern ist vor allem das Scheitern der Christdemokraten. Seit 1988 sind die Rheinland-Pfälzer Querelen bei der Union gewöhnt - und strafen sie dafür am Wahltag stets ab. Bis zum heutigen Tag dauert die innerparteiliche Zerstrittenheit an. Auch Christian Baldauf, Böhrs Nachfolger als Partei- und Fraktionschef, hat bislang kein Rezept gefunden.

Gegenseitiges Misstrauen, Grüppchenbildung, Geheimtreffen und verstummende Gespräche, wenn ein Partei-"Freund" den Raum betritt - all das ist noch immer an der Tagesordnung, wissen Insider zu berichten. "Rational sind die Konflikte nicht zu erklären", sagt Böhr rückblickend. Er sagt es emotionslos. Geärgert hat er sich früher, als er sich noch mächtig Mühe gab, die Reihen zu schließen. In der Opposition hatte er als Parteichef zwar wenig anzubieten, doch Böhr bemühte sich um die Einbindung seiner Kritiker, übertrug ihnen Aufgaben im Fraktionsvorstand oder als Sprecher von Arbeitskreisen. All das blieb ebenso fruchtlos wie der verzweifelte Versuch, eine auf die Konfliktlösung spezialisierte Unternehmensberatung zu engagieren.

Beinahe ungläubig blickt der gebürtige Mayener auf eine Umfrage vom März 2004 zurück, zwei Jahre vor der Landtagswahl. Der SWR-Polit-Trend sah die CDU damals bei 48 Prozent, die SPD nur bei 32. "Wir hätten gewinnen können", sagt Böhr leise. Er hatte aber jene nicht auf der Rechnung, die teils offen, teils hinter den Kulissen die Messer gegen ihn wetzten.

Dass man nach dem Wahldebakel 2006 über ihn herfallen würde, damit hat Christoph Böhr gerechnet. Die Untergänge 2001 und 2006 bleiben an ihm als einstigem Aushängeschild seiner Partei haften, er hat sie maßgeblich zu verantworten. Böhr wurde aber auch als Schuldenmacher, der der Fraktion 300.000 Euro Verbindlichkeiten hinterlassen habe, öffentlich gebrandmarkt. Wobei man geflissentlich übersah oder übersehen wollte, dass es in der Vergangenheit nach den Wahlen immer Verbindlichkeiten gab und die Kriegskasse in den Jahren bis zur nächsten Wahl wieder aufgefüllt werden musste.

Sicherlich wird die Affäre um den ehemaligen Fraktionsgeschäftsführer Markus Hebgen, der in die Fraktionskasse griff und gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, Nachwirkungen haben. Möglicherweise mit persönlichen Konsequenzen für Böhr. Denn es steht Hebgens schwerer Vorwurf im Raum, unter Böhrs Ägide sei illegal mit Fraktionsgeldern der Wahlkampf finanziert worden. Der Landesrechnungshof untersucht die Vorgänge. Der Partei drohen (hohe) Strafzahlungen, zumindest deshalb, weil die Bücher nicht ordnungsgemäß geführt wurden und wichtige Belege verschwunden sind.

Wenn die Ergebnisse auf dem Tisch liegen, hat Christoph Böhr sein Abgeordnetenbüro in Trier längst aufgegeben und seine Zelte in Mainz abgebrochen. Wehmut nach 22 Jahren Landespolitik verspürt der 55-Jährige nicht. Erleichterung auch nicht. "Das ist jetzt einfach ein Punkt. Etwas Neues beginnt." Der promovierte Philosoph und Politikwissenschaftler hat einen Lehrauftrag in politischer Philosophie an der Universität Düsseldorf, hält Vorträge und schreibt Bücher, gerade eines über den Mauerfall. Für ein Jahr steht ihm Übergangsgeld zu. Ab wann er Pensionsansprüche hat, weiß er nach eigenem Bekunden nicht.

Das von ihm so sehr geschätzte Amt eines Ministerpräsidenten, der "über den Bundesrat Einfluss im Bund hat und gleichzeitig Politik vor Ort gestalten kann", wird Christoph Böhr nie bekleiden. Er wird auch keine "spannenden Haushaltsdebatten" und keine Kamingespräche in Berlin mehr erleben. Und er wird wohl nicht in die Annalen eingehen wie einer seiner Vorgänger als CDU-Chef, der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl. Tragische Verlierer finden in den Geschichtsbüchern selten Platz. Ihnen wird auch kein "Versorgungsposten" angeboten.

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