Der Trump-Versteher: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg

Warum Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg der richtige Mann ist, um den US-Präsidenten beim Gipfel in Brüssel zu begleiten.

Manchmal taugt ein frei erfundenes Zitat, um einen Politiker zu charakterisieren. "Der Präsident der Vereinigten Staaten hat eine Zwölf-Sekunden-Aufmerksamkeitsspanne." Das soll Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg über Donald Trump gesagt haben. Um es klar zu sagen: Hat er nicht, ein skrupelloser Journalist hat es dem Norweger vielmehr angedichtet. Wer den 58-Jährigen Stoltenberg, diesen braven, ein wenig langweiligen Prototypen eines skandinavischen Sozialdemokraten einmal erlebt hat, weiß, dass er das gar nicht gesagt haben kann. Nicht einmal hinter vorgehaltener Hand und vermutlich auch nicht gegenüber seiner Frau, mit der Samstags schon einmal beim Bummel auf dem Markt im alternativen Brüsseler Stadtteil Ixelles gesehen wird. Und schon gar nicht einige Tage vor dem jährlich einmal stattfindenden Nato-Treffen, wo er die Regierungschefs sämtlicher Mitgliedsländer des größten Verteidigungsbündnisses der Welt zu Besuch hat.

Der groß gewachsene Stoltenberg ist die Verkörperung von Pflichtbewusstsein. Stoltenberg improvisiert nicht. Bei Pressekonferenzen spricht er keinen einzigen Satz frei, hält sich an genau abgezirkelte Formulierungen, um ja keinen faux pas zu begehen. Spontaneität ist nicht seine Sache. Schon von seiner Rolle bei der Nato her muss er zudem größte Rücksicht darauf nehmen, ja kein Mitgliedsland verbal vor den Kopf zu stoßen. Umso mehr wird er da Trump, diesen für seine Unberechenbarkeit und seinen Jähzorn bekannten Politiker, behandeln wie ein rohes Ei.

Zumal Stoltenberg persönlich einen guten Start mit Trump hingelegt hat. Von seinem Antrittsbesuch beim US-Präsidenten im April konnte er ein Trump-Zitat als Trophäe mitbringen. Trump legte nämlich bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Stoltenberg eine 180-Grad-Wendung in Sachen Nato hin und bekannte, dass er bekehrt sei: "Ich habe gesagt, die Nato sei obsolet. Sie ist nicht obsolet."

So unterschiedlich der impulsive Trump und der kontrollierte Stoltenberg auch sind, sie verbinden durchaus gemeinsame Interessen. Vor Jahren hat die Nato beim Gipfel in Schottland beschlossen, dass die Mitgliedsländer ihre Verteidigungsausgaben erhöhen und sich mittelfristig der Marke von zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt annähern sollen. Stoltenberg war von Anfang an davon überzeugt, dass die Aufrüstung richtig ist.

Russland hat den Osten der Ukraine quasi besetzt und die sich die Krim einverleibt. Auch die Bedrohung durch den islamistischen Terror erfordert mehr militärische Fähigkeiten von den Bündnisländern. Zwar haben viele Länder, darunter auch Deutschland schon vor Trump, die Wende eingeleitet und stecken mehr Geld in die Verteidigung. Aber erst seitdem der "America first"-Politiker ins Weiße Haus eingezogen ist und darauf herumreitet, dass Europäer und Kanadier hier nachlässig sind, passiert so richtig etwas. Und wenn beim Nato-Treffen alles gut geht, wird Donnerstag abend ein Papier verabschiedet, in dem sich die Mitgliedsstaaten verpflichten, bis Ende des Jahres nationale Pläne aufzustellen, um in die Nähe der "Zwei-Prozent-Marke" zu kommen.

Trump hat in Brüssel noch ein zweites Anliegen an Stoltenberg. Die Nato soll sich stärker engagieren im Kampf gegen den Terror. Am liebsten hätte Trump, dass die Nato förmlich der Anti-IS-Koalition beitritt. Selbst die Kanzlerin hat jüngst angedeutet, dass dies denkbar ist. Eine rote Linie gibt es aber: Kampfhandlungen der Nato in Irak und Syrien hat Jens Stoltenberg in den vergangenen Wochen in seiner ihm eigenen Art immer wieder ausgeschlossen: geduldig, langsam und deutlich sprechend, die Worte mit Gesten seiner Hände untermalend, so dass jeder versteht. Vorstellbar ist etwa, dass die in der Türkei stationierten Awacs-Aufklärungsflugzeuge eine größere Rolle im Kampf gegen den Terror schultern. Mit Angela Merkel soll sich Stoltenberg übrigens besonders gut verstehen. Kein Wunder, die beiden verbindet, dass sie zuerst ein Problem gründlich durchdenken und Konsequenzen abwägen, bevor sie sich dazu in der Öffentlichkeit äußern.

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