Der umstrittene Kampf gegen Gaddafi

Innerhalb der westlichen Allianz besteht ein Konflikt: Soll die Nato die Führung im Kampf gegen Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi übernehmen - und wenn ja, wie weit darf die Nato dabei gehen? In Deutschland geht die Debatte um eine Enthaltung bei dem Konflikt weiter: Ex-Außenminister Joschka Fischer liest der Bundesregierung die Leviten.

Brüssel/Berlin. Die westliche Verteidigungsallianz Nato greift nach Tagen des Zögerns in den Libyen-Konflikt ein. Das Bündnis begann gestern mit einem Marineeinsatz zur Umsetzung des vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Waffenembargos. Schiffe werden auf dem Weg in libysche Häfen kontrolliert, sofern sie verdächtig sind, Waffen oder Söldner nach Libyen zu bringen. Der Nato-Oberbefehlshaber, US-Admiral James Stavridis, habe damit begonnen, Schiffe und Flugzeuge der Nato im Mittelmeer in der Nähe der Küste Libyens zu aktivieren, hieß es in Brüssel.

Nach Angaben von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen stimmten die Regierungen der 28 Mitgliedsstaaten einem seit Freitag heftig umstrittenen Operationsplan für die Durchsetzung einer Flugverbotszone über Libyen zu. Allerdings stand am Dienstag ein Beschluss, mit dem der Operationsplan in die Tat umgesetzt werden kann, aus. Für heute ist ein neues Treffen der Nato-Botschafter in Brüssel geplant.

Rasmussen blieb vage, was die Führungsrolle der Nato bei der Kontrolle der Flugverbotszone anging. Die Nato habe Pläne, "um unseren Beitrag, falls nötig und in einer klar definierten Weise, zur breiten internationalen Anstrengung zum Schutze der libyschen Bevölkerung vor der Gewalt des Gaddafi-Regimes zu leisten".

Frankreich hatte zuvor die Führung der Militäraktion durch die Nato abgelehnt. Die USA und Großbritannien fordern dies aber. US-Präsident Barack Obama kündigte eine baldige Übergabe der Einsatzführung an.

Türkei hat Angst vor Bruderkrieg



Er gehe davon aus, dass europäische und arabische Länder in Kürze das Kommando übernehmen werden, sagte Obama bei einem Besuch in Chiles Hauptstadt Santiago. Zugleich bekräftigte er seine Forderung nach einem Machtwechsel in Libyen: "Gaddafi muss gehen."

Die Türkei verlangt, dass die Führung des Militäreinsatzes von den Vereinten Nationen übernommen wird. Dort gibt es Vorbehalte, womöglich auf "muslimische Brüder" in libyscher Uniform schießen zu müssen.

Nun bedeutet der Beschluss vom Dienstag laut Diplomaten jedoch noch nicht, dass alle Nato-Mitglieder auch an dem Marineeinsatz teilnehmen. "Wir freuen uns über Beiträge unserer Nato-Partner zu diesem gemeinsamen Vorhaben", sagte Nato-Generalsekretär Rasmussen.

Deutschland beteiligt sich nicht direkt an der Militäraktion. Zur Entlastung der Bündnispartner in Libyen will die Bundesregierung bis zu 300 Soldaten zusätzlich nach Afghanistan schicken. Sie sollen sich an Awacs-Aufklärungsflügen beteiligen. Außerdem will die Bundesregierung noch in dieser Woche ein Öl- und Gasembargo gegen Libyen in der EU durchsetzen. "Es kann nicht sein, dass einerseits militärische Aktionen geflogen werden, andererseits aber immer noch nicht ausgeschlossen ist, dass noch Öl- und Gasgeschäfte mit dem System Gaddafi stattfinden", sagte Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Der Diktator dürfe nicht mehr an frisches Geld kommen.

Westerwelle verteidigte erneut die Entscheidung, die Bundeswehr aus Kampfhandlungen gegen Libyen herauszuhalten. Vorwürfe, Deutschland isoliere sich mit dieser Haltung, wies er zurück. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte: "Unsere Diskussion über die Abstimmung zu Libyen macht mich traurig." Es habe schwerwiegende Gründe für eine Enthaltung im UN-Sicherheitsrat gegeben. Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) nannte die Stimmenthaltung in der Süddeutschen Zeitung jedoch einen "skandalösen Fehler". Deutschland habe damit keine Chancen mehr auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat. dpa

HINTERGRUND



Militärschläge und ihre Namen: "Odyssey Dawn" ("Odyssee Morgendämmerung") nennen die Amerikaner die internationale Militäroperation, mit der die Flugverbotszone in Libyen durchgesetzt werden soll. In solchen Namen für Militärschläge sehen manche ein Symbol für die Motive der Befehlshaber, andere kritisieren sie als beschönigend. "Operation Enduring Freedom" ("Operation dauerhafte Freiheit"): Nach den Terror-anschlägen vom 11. September 2001 starteten die USA mit internationaler Unterstützung diese Militäraktion. Eigentlich sollte sie "Infinite Justice" ("Grenzenlose Gerechtigkeit") heißen. Doch islamische Gelehrte empörten sich - Gerechtigkeit siedelten sie bei Allah und nicht im Pentagon an. Der Name wurde geändert. Schwerpunkt des US-geführten Einsatzes ist Afghanistan. "Operation Iraqi Freedom" ("Operation irakischer Frieden"): Am 20. März 2003 griffen die USA und Großbritannien ohne UN-Mandat den Irak an. Nach diesem dreiwöchigen dritten Golfkrieg war das Regime von Iraks Präsident Saddam Hussein gestürzt. Auf alliierter Seite gab es 171 tote Soldaten. "Essential Harvest" ("Bedeutende Ernte"): Im Rahmen dieser Operation sammelte die Nato freiwillig abgegebene Waffen der albanischen Rebellen in Mazedonien ein. Damit sollte eine friedliche Entwicklung in dem Balkanstaat unterstützt werden. "Deliberate Force" ("Kalkulierte Gewalt"): Am 30. August 1995 begann die Nato den ersten Kampfeinsatz ihrer Geschichte. Zweieinhalb Wochen lang bombardierten Flugzeuge militärische Stellungen der Serben in Bosnien. Vier Monate später unterzeichneten Bosnien, Kroatien und Serbien ein Friedensabkommen, das den Krieg in Bosnien-Herzegowina beendete. "Operation Desert Storm" ("Operation Wüstensturm"): Die US-geführte Operation zur Befreiung des Öl-Emirats Kuwait von irakischer Besatzung begann am 17. Januar 1991. Nach Ablauf eines UN-Ultimatums griff eine multinationale Truppe den Irak an. In sechs Wochen wurden die Invasoren vertrieben, die den Nachbarn Anfang August 1990 im Streit um Ölfelder überfallen und annektiert hatten. Der Einsatz kostete Zehntausende Iraker das Leben. 343 alliierte Soldaten wurden getötet. dpa

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