"Der Unfall war total vermeidbar"
Luxemburg · Der Luxemburger Michel Majerus galt als einer der talentiertesten Maler der jüngeren Zeit. Er gehört zu den 20 Toten, die bei dem Absturz am 9. November 2002 starben. Majerus lebte in Berlin und wollte an diesem Tag seine Eltern im luxemburgischen Esch besuchen. Sein Vater, Jean Majerus, äußert sich exklusiv im TV-Interview.
Luxemburg. Wie geht ein Hinterbliebener eines Absturzopfers mit seiner Trauer um? Jean Majerus, 72, aus dem luxemburgischen Esch-Alzette spricht im TV über seine Gefühle, seine Wut und seine Erwartungen an den Prozess. Die Fragen stellte TV-Redakteur Bernd Wientjes.
Herr Majerus, wie geht es Ihnen?
Majerus: Nicht gut. Der anstehende Prozess wühlt mich und meine Familie natürlich sehr auf. Die letzten neun Jahre waren eine sehr schwere Zeit für uns; dass das Ermittlungsverfahren so lange gedauert hat, hat es noch schlimmer gemacht.
Glauben Sie, dass Sie die Folgen der Katastrophe jemals verarbeiten können?
Majerus: Ich glaube, dass man nicht anfangen kann, dieses Drama und den Verlust seines geliebten Sohnes zu verarbeiten, bis der Prozess ganz vorbei ist.
Wie glauben Sie, ist es zu dem Absturz gekommen?
Majerus: Dieses Drama ist ja hauptsächlich geschehen, weil die Piloten schnell nach Hause und unbedingt sofort landen wollten, trotz der ungenügenden Sicht und obwohl das Flugzeug zu hoch war, um noch einen Landeanflug machen zu können. Um das trotzdem noch hinzukriegen, hat der Kapitän die Anflugregeln verletzt und dazu noch eine strikt verbotene Manipulation der Schubhebel vorgenommen, die zum Absturz geführt hat. Nur um schnell nach Hause zu kommen, hat der Kapitän ein tödliches Risiko in Kauf genommen. Dem muss doch die Sicherheit der Passagiere vollkommen egal gewesen sein.
Inwiefern ist Luxair mit schuld?
Majerus: Es ist auch so, dass man vor dem Unfall längst gewusst hat, dass eine zusätzliche Sicherung der Schubhebel defekt war. Obwohl diese Fehlfunktion seit Jahren bekannt war, hat Luxair diese nicht beheben lassen. Auch dieser Defekt hat zum Unfall beigetragen.
Welche Erinnerung haben Sie an den 9. November 2002?
Majerus: Ich selbst stand am Tage des Unfalls am frühen Morgen am Flughafen, um auf meinen Sohn zu warten. Ich freute mich, ihn wiederzusehen. Auf der Anzeigetafel stand dann sehr lange immer nur "delayed" also "verspätet". Ich glaubte: Es ist sehr starker Nebel; das Flugzeug muss vielleicht zu einem Ausweichflughafen. Über Lautsprecher kam dann später die Nachricht, alle Leute, die auf Passagiere dieses Fluges warten, sollten in den Schalter Nummer eins kommen. Man sagte uns, wir sollten in einen Bus steigen; wir würden zu einem Raum gefahren, um Informationen zu erhalten, sonst wurde uns nichts mitgeteilt.
Wann und wie haben Sie von der Katastrophe erfahren?
Majerus: Im diesem Raum waren Leute die auf uns warteten, ein Psychologe und Sanitäter des Zivilschutzes. Man sagte uns, "es ist etwas geschehen; wir warten aber noch Informationen ab". Es war zum verrücktwerden, denn es dauerte dann noch über eine Stunde bis man uns mitteilte, dass die Maschine abgestürzt war. Man sagte es gäbe fünf Überlebende. Ich habe die Hoffnung nicht gleich aufgegeben. Im späten Nachmittag sagte man mir aber dann, mein Sohn wäre nicht unter den Überlebenden. Ich kontaktierte meine Frau und meinen anderen Sohn und musste ihnen diese schreckliche Nachricht mitteilen. Sie holten mich dann am Flughafen ab. Dieser Tag bleibt in meiner Erinnerung eingebrannt und spielt sich seither, wie ein Film, immer wieder ab.
Weshalb haben Sie die von der Luxair angebotene Entschädigung nicht angenommen und sich zu einer Nebenklage im Strafprozess entschieden?
Majerus: Ich möchte mit meinem Anwalt aktiv am Prozess teilnehmen und dazu beitragen, dass alle Fehler und Fehlverhalten sämtlicher Akteure lückenlos aufgeklärt werden und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Das bin ich meinem Sohn schuldig, für den ich auch mit im Gericht sitzen werde. wie
Michel Majerus, geboren am 9. Juni 1967, war ein luxemburgischer Maler und Bildhauer. Von 1986 bis 1992 studierte er an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Unmittelbar nach seinem Studium zog er nach Berlin, wo er - unterbrochen durch einen einjährigen Aufenthalt in Los Angeles im Jahr 2001 - bis zu seinem Tod lebte und arbeitete. Der internationale Durchbruch gelang Majerus 1998 mit einem wandfüllenden Bild, das den für Malerei üblichen Größen-Rahmen sprengte. 1999 gestaltete Majerus im Rahmen der Venedig Biennale die Außenfassade des italienischen Pavillons. Nach seinem Tod wurde sein Werk in mehreren Einzelausstellungen gezeigt, unter anderem in Graz, Amsterdam, Hannover, Hamburg und Luxemburg. wie