Der ungeduldige Ökonom

BERLIN. Zwei Jahre ist Horst Köhler jetzt Bundespräsident – heute feiert er sein erstes Sommerfest. Eine Bilanz.

Bundespräsident Horst Köhler wird sich heute bedanken: "Bei Bürgerinnen und Bürgern, die sich in ganz unterschiedlicher Weise für andere und das Gemeinwohl einsetzen", heißt es in der Einladung zu seinem ersten Sommerfest. Bei Menschen also, die sich einmischen. Horst Köhler gehört zweifellos dazu. Seit zwei Jahren ist er im Amt, er ist ein ungeduldiges, drängelndes Staatsoberhaupt. Damit eckt er an. So offen und ungeniert wie Köhler ist kaum ein Präsident zuvor vom Berliner Politikbetrieb kritisiert worden. Vergangenes Jahr war sein Amtssitz noch Baustelle, diesmal werden im Garten von Schloss Bellevue 3500 Gäste mit dem Präsidenten und seiner Gattin feiern. Zeit für Gespräche will sich Köhler nehmen, deswegen wurde die Einladungsliste kurzerhand um die Hälfte gekürzt. Ein Gefühl will er dafür bekommen, wie die Stimmung im Land wirklich ist - abseits des allgemeinen Weltmeisterschaftstrubels. Wer mit ihm unterwegs ist, der bemerkt: Im Umgang mit dem Bürger ist es ein anderer Köhler als der präsidiale. Offen, zugänglich, durchaus herzlich. Vor den Mikrofonen oder am Rednerpult "kommt er aber aus seiner Staatssekretärsrolle nicht heraus", frotzelt ein führender Sozialdemokrat. Gemeint sind Attribute wie dröge oder buchhalterisch. Früher war Köhler Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, später Chef des Internationalen Währungsfonds. Ein rationaler Ökonom. Ein Meister der Zwischentöne, der eleganten Sprache ist er tatsächlich nicht. Im Prinzip blickt Köhler wie jeder andere auch auf die Politik. Er erwartet, dass die da oben für die da unten endlich etwas zu Stande bringen. Das Volk mag ihn vermutlich deshalb. Seit Monaten führt er die Sympathie-Skalen an. Eine seiner Tugenden: Sein Eifer

Während sich für die Berliner Republik die zähe Suche nach (faulen) Kompromissen zum Markenzeichen entwickelt hat - und sich die Akteure vermutlich nichts anderes mehr vorstellen können - ist der Eifer Köhlers Tugend: "Wir können uns keine Verzögerung erlauben", drückt er aufs Tempo, und blickt dabei genauso irritiert wie viele Menschen im Lande auf die große Koalition, die doch eigentlich zu Großem fähig sein müsste. Noch ist es für ihn jedoch zu früh, den Erfolg oder den Misserfolg der großen Koalition zu beurteilen. Insgeheim sucht aber auch er die Richtung, den Überbau der Reformen, den Durchbruch. Köhler ist umstritten. Sehr sogar. Auch wenn er mit der Kanzlerin alle vier Wochen in seinem Amtszimmer ein Gespräch führt, der einzige, der für ihn Partei ergreift, ist FDP-Chef Guido Westerwelle. "Es ist nicht akzeptabel, dass die Bundeskanzlerin unbeteiligt tut, wenn unser Bundespräsident attackiert wird", liest der Liberale seiner Ex-Partnerin die Leviten. Als "Besserwisser" war Köhler da gerade vom Genossen Joachim Poss beschimpft worden. Der Präsident nimmt dies stillschweigend zur Kenntnis. Anfang 2004 hatten Westerwelle und Merkel den Außenseiter Köhler zum Staatsoberhaupt erkoren, für die Liberalen blieb es bei diesem Teil des Machtwechsels. Westerwelle sieht sich deshalb nicht uneigennützig in der Rolle des Schutzpatrons, wenn sich der Präsident wieder tagespolitisch zu Wort meldet. Oft hat er dies getan: "Zu kompliziert" sei das Steuersystem; bei der Bildung "geben wir zu wenig Geld aus"; oder "zweistellige Milliardenbeträge" könnten durch eine dringend notwendige Gesundheitsreform eingespart werden. Als Angela Merkel noch nicht Kanzlerin war, sah sie in Köhler genau diesen antreibenden Reformpräsidenten, den Vorboten für den Wechsel. Seine Begründung für die Neuwahlen 2005 nahm im Grunde Merkels Kanzlerinnen-Wort vom "Sanierungsfall" Deutschland vorweg: "Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel", hatte Köhler eindringlich gesagt. Inzwischen gibt es kein Lob mehr aus dem Kanzleramt für den Mann im Schloss Bellevue, und harsche Kritik an ihm lässt die Regierungschefin unwidersprochen. Ein Affront muss für die Ostdeutsche Merkel gewesen sein, dass Köhler kürzlich die Agenda 2010 ihres Vorgängers Gerhard Schröder lobte: "Ich denke, dass die große Koalition an dieser Linie weiterarbeitet", so der Bundespräsident. Als lästig empfindet man in der Union inzwischen diese ständigen Mahnungen. "Blass" sei er, mäkeln CDU-Abgeordnete zurück. Kein anderer Vorwurf schmerzt einen Präsidenten mehr. Nur wenige aus der Politik bedanken sich daher noch bei Horst Köhler für dessen Antreiben. Vielleicht tun dies dafür ja die Bürger heute beim Sommerfest.

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