Der Unverbogene: Bernie Sanders ist Hillary Clintons Hauptrivale
Manassas (US-Bundesstaat Virginia) · Im Wahlkampf mit Bernie Sanders: Aus den Lautsprechern dröhnt Neil Young, ein Song aus dem Jahr 1989, auf der Bühne klingt Hillary Clintons linker Rivale genauso, wie er damals schon klang. Nichts an ihm ist modern, nichts wirkt einstudiert, und gerade das gefällt seinen jungen Anhängern.
Manassas (US-Bundesstaat Virginia). "Keep on rockin‘ in the free world", dröhnt es aus den Lautsprechern. Neil Young singt von der Frau in der Nacht, unter einer alten Straßenlaterne in der Nähe einer Mülltonne, die ihr Baby zur Seite legt für den nächsten Stoß. Es ist das Lied, zu dessen Klängen Bernie Sanders die Bühnen betritt, auch diese hier, ein schnell gezimmertes Podium auf einer Wiese in Manassas. Im Unterschied zu Donald Trump, bei dem Young protestierte, weil der Bauunternehmer den Klassiker zum Kandidatenstart einspielen ließ, ohne um Erlaubnis zu bitten, hat Sanders nicht nur das grüne Licht des Rockbarden, er hat auch dessen politische Unterstützung. Vielleicht auch, weil das, was er sagt, 1989, als der Titel Premiere hatte, im Kern schon genauso klang wie heute. Sanders, der Unverbogene. Das Urgestein.
Der Kampagnenmarathon hat seiner Stimme zugesetzt, bisweilen klingt sie, als habe er mit Kieselsteinen gegurgelt. Mancher vergleicht es mit Charme alter Schallplatten, die sich kratziger anhören, aber auch interessanter als perfekte Tontechnik. Mit wehendem weißen Haar steht der 74-jährige Senator am Pult, oft hebt er den Zeigefinger, um ihn zornig niedersausen zu lassen (TV-Foto: Frank Herrmann). Seine Rede dauert länger als eine Stunde, und Anekdoten aus dem eigenen Leben, wie sie eigentlich Standard sind in amerikanischen Wahlkämpfen, fehlen darin. Nichts an ihm ist modern, und gerade das mag Erica Bays, Physikstudentin im zweiten Studienjahr. "Mir muss keiner Unterhaltung bieten. Bei Bernie weißt du, der Mann ist echt."
Keiner sagt Sanders oder gar Senator Sanders, alle reden nur von Bernie. Der Älteste des Bewerberfelds kann sich, so jedenfalls der optische Eindruck in Manassas, auf die jüngste Anhängerschaft stützen. Nur: Nahezu alle Gesichter sind weiß, obwohl es hier, im Norden Virginias, an Afroamerikanern oder Hispanics nicht mangelt.
"Wir sind die reichste Nation in der Geschichte der Welt. Aber nur sehr wenige Menschen spüren das", ruft der Kandidat. In keinem anderen entwickelten Land sei das Einkommen derart ungleichmäßig verteilt.
Erica Bays spricht vom Obama-Effekt, manches erinnert sie an das Vorwahlduell 2008, in dessen Verlauf Barack Obama an der Favoritin Hillary Clinton vorbeizog. Ernüchtert durch das Fiasko im Irak suchten die Amerikaner im Allgemeinen und die Demokraten im Besonderen die größtmögliche Alternative zu George W. Bush. Sie fanden sie in Obama, der glaubwürdiger wirkte, hatte er doch schon vor der Invasion gewarnt, als Clinton sie noch befürwortete. Diesmal ist es Sanders, der einer nach links gerückten Parteibasis aus dem Herzen spricht.