"Der Vorwurf der Feigheit ist abwegig"

BERLIN. Die Bundesregierung dementiert Meldungen, wonach die Ausweitung des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan in den gefährlicheren Süden des Landes vorgesehen sei. Doch einer Anfrage könnte sie sich kaum entziehen.

Die Lage hat sich dramatisch verschlimmert. Der Süden Afghanistans erlebt im Moment die blutigste Phase seit der Vertreibung der Taliban Ende 2001. Gestern starben wieder 17 Menschen durch ein Selbstmordattentat. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Berlin gab es im ersten Halbjahr dieses Jahres bereits so viele Anschläge wie im gesamten Vorjahr. Fast täglich kommt es im Süden des Landes zu schweren Gefechten zwischen Taliban und Soldaten der internationalen Friedenstruppe mit dutzenden Toten und Verletzten. Und dort sollen künftig deutsche Soldaten ihren Dienst versehen? Die Bundesregierung dementierte gestern eiligst diese Meldung. Eine Debatte über eine gefährliche Ausweitung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan kann sie derzeit gar nicht gebrauchen. Die Nachricht, die Berlin in Aufregung versetzte, lautete so: Deutschland werde von anderen Nationen kritisch betrachtet, hieß es unter Berufung auf Quellen im Hauptquartier der natogeführten Isaf-Streitkräfte in Kabul. Denn die Bundeswehr sei nur im verhältnismäßig ruhigen Norden des Landes und in der Hauptstadt stationiert, während andere Nationen schwere Verluste im Süden erlitten."Auch im Norden große Gefahren"

Den daraus ableitbaren Vorwurf der "Feigheit" bezeichnete der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Thomas Raabe, gestern als "abwegig". Die Alliierten wüssten, "dass wir auch im Norden mit großen Gefahren zu tun haben." Seit Beginn des Einsatzes Anfang 2002 starben 18 deutsche Soldaten. Darüber hinaus wurde aus Kabul kolportiert, die Bundeswehr habe Kapazitäten und Fähigkeiten, die auch im Süden gebraucht würden. Regierungssprecher Thomas Steg musste deshalb gestern klarstellen: "Deutschland wird seine Aktivitäten zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan weiterhin auf den Norden konzentrieren." Doch auch dort wird der Einsatz riskanter, wie Militärexperten warnen. Die alltägliche Gewalt habe inzwischen ganz Afghanistan erfasst, heißt es, wenngleich es im Süden weitaus gefährlicher sei. Vor allem Kanadier, Briten und Niederländer sind in diesem Landesteil stationiert. Nach geltendem Mandat ist es allerdings möglich, dass die Bundeswehr aushilfsweise Soldaten in den Süden entsendet - wenn die Nato-Friedenstruppe Isaf einen "unabweisbaren Bedarf" anmeldet. "Uns ist keine Anfrage bekannt, und wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass solche Planungen bestehen", so Steg. Berliner Verteidigungsexperten gehen aber davon aus, dass man sich einer solchen Anfrage kaum entziehen kann, wenn sie denn kommt. Ansonsten gefährde die Bundesregierung die gesamte internationale Mission, lautet die Einschätzung. Zudem müsste nicht einmal der Bundestag befragt werden, weil dieser das Mandat vor einem Jahr auf das ganze Land ausgeweitet hat. Im Oktober will die Bundesregierung den Afghanistan-Einsatz vom Parlament erneut verlängern lassen. Dass sie gestern so schnell eine mögliche Entsendung deutscher Soldaten in den Süden dementierte, hat damit zu tun. Angeblich wächst die Zahl der Abgeordneten, die die immer heikler werdende Mission nicht einfach durchwinken will: "Wir stehen in der Sackgasse", heißt es aus dem Verteidigungsausschuss.

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