"Der Vorwurf steht auf wackeligen Beinen"

Koblenz · Ist Beate Zschäpe (37) eine Neonazi-Terroristin, Drahtzieherin, Komplizin oder nur Mitläuferin des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)? Für ihren Koblenzer Anwalt Wolfgang Stahl ist ihre Mittäterschaft "bislang nur eine These der Anklage". Unsere Mitarbeiterin Ursula Samary sprach mit ihm über den größten Prozess seines Lebens.

Koblenz. Die Anklage ist insgesamt 488 Seiten stark, enthält 1654 Fußnoten. Die Hauptakte umfasst 587 Stehordner oder grob überschlagen 250 000 bis 300 000 Seiten, ohne Bei- und Alt akten. Hinzu kommen zig Bände von Verschlusssachen, die nur bei Gericht einsehbar sind. Wie kommt man zu so einem Mandat? Als Szene-Anwalt sind Sie nicht bekannt.Stahl: Ich arbeite seit Jahren mit meinem Kölner Kollegen Wolfgang Heer erfolgreich und gut zusammen. Er hat mich gefragt, ob ich bereit bin, die Verteidigung mit zu übernehmen. Auch Kollege Heer kam allein wegen seines Rufs als Strafverteidiger zu dem Mandat. Ich glaube, Justiz und Rechtsstaat können dankbar sein, dass in dem Verfahren Verteidiger tätig sind, die neutral sind und keine Gesinnung verteidigen. Auch für die Nebenkläger wäre es schwer zu ertragen, wenn Frau Zschäpe von Anwälten verteidigt würde, die das Verfahren instrumentalisieren. Hatten Sie auch Zweifel?Stahl: Wegen des rechtsextremistischen Hintergrunds hatten wir natürlich die Sorge, dass man uns für bekennende Anwälte halten könnte, obwohl wir auch in anderen Fällen keine Gesinnung, sondern die Rechte eines Beschuldigten verteidigen. Aber erfreulicherweise hat die Öffentlichkeit sehr genau gesehen, dass wir ohne Ansehen der Person unserem verfassungsmäßigen Auftrag der Strafverteidigung nachkommen. Ist Beate Zschäpe Drahtzieherin, Komplizin oder Terrorbraut?Stahl: Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich zu der Frage ob, und in welchem Umfang die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft berechtigt sind, hier keine Erklärung abgebe. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr unter anderem Mittäterschaft an zehn Morden und 15 bewaffneten Raubüberfällen vor. Hat Sie die Wucht der Vorwürfe überrascht?Stahl: Uns war natürlich bewusst, dass man versuchen würde eine Täterschaft unserer Mandantin für alle aufgedeckten strafbaren Handlungen argumentativ darzustellen. Eine mittäterschaftliche Beteiligung von Frau Zschäpe drängt sich aber aus den Akten nicht eben auf. Dass das maximal Mögliche angeklagt wird, ist vermutlich auch dem politischen und öffentlichem Aufklärungsdruck auf die Bundesanwaltschaft geschuldet. Wenn nur die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und besonders schwere Brandstiftung angeklagt worden wären, wäre dies - ob nun berechtigt oder nicht - in der Öffentlichkeit wahrscheinlich auf Unverständnis gestoßen. Die Bundesanwaltschaft hat sich eventuell verpflichtet gesehen, dem Gericht die Entscheidung über die Strafbarkeit zu überlassen. Warum halten Sie die Anklage für konstruiert?Stahl: Nach dem Ergebnis der Ermittlungen war Frau Zschäpe an keinem der Tatorte. Auch aktive Tatbeiträge waren nicht ermittelbar. Man muss argumentativ schon erhebliche "Klimmzüge" machen, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass Frau Zschäpe die Taten als eigene wollte. Der Vorwurf der Mittäterschaft steht für uns daher auf sehr dünnen Beinen. Wir halten die These der Anklage für ausgesprochen gewagt. Aber es gibt viele Indizien, die gegen Ihre Mandantin sprechen.Stahl: Keine Frage. Trotzdem bleibt die Anklage eine These, die zwar denkbar ist, aber keinesfalls zwingend die Wirklichkeit wiedergibt.Unbestritten hat sie aber doch mehr als 13 Jahre mit Uwe Böhnhard und Uwe Mundlos zusammengelebt.Stahl: Das ist für sich genommen aber nicht strafbar. Es ist schon sehr ambitioniert, zu behaupten, weil Frau Zschäpe unter anderem 13 Jahre lang im Untergrund gelebt habe, sei sie Mittäterin bei Morden, die nach den Ermittlungen aber von zwei anderen Menschen begangen worden sein sollen. Unter dem Begriff "Untergrund" verstehe ich im Übrigen etwas gänzlich anderes, als unter falschem Namen in einem Mehrparteienhaus zu leben und zu allen möglichen Menschen - beispielsweise im Urlaub auf dem Campingplatz - völlig normale Kontakte zu unterhalten.Sie und Ihre Kollegen haben gesagt: "Wir sorgen dafür, dass Frau Zschäpe einen fairen Prozess bekommt." Haben Sie Zweifel an dieser Selbstverständlichkeit oder am Gericht?Stahl: Ich habe keinerlei Veranlassung, Zweifel an den beteiligten Richtern zu äußern. Aber eines ist doch klar: In den Medien wird deutschlandweit schon seit einem Jahr - bedauerlicherweise veranlasst durch ein Vorpreschen der Ermittlungsbehörden - unter anderem von einer Mörderbande gesprochen. Diese Dimension der Vorverurteilung macht es jedem Richter ausgesprochen schwer, noch unvoreingenommen einer Angeklagten entgegenzutreten. Das wird ein großes Problem sein. Denn die durchaus vorhandenen Zweifel an der Richtigkeit des Tatverdachts tauchen nicht gleichrangig in einer Ermittlungsakte auf, wenn in eine bestimmte Richtung ermittelt und ein roter Faden verfolgt wird. Das gibt es auch in anderen Fällen. Aber hier kommt eine öffentlichkeitswirksame Vorverurteilung hinzu, die ein faires Verfahren für alle Beteiligten ungemein erschwert. Weil die Taten so unbegreiflich sind, würden sich nicht nur Angehörige der Opfer erhoffen, dass Beate Zschäpe ihr Schweigen bricht und das Warum hinter den Taten erklärt. Können Sie dies verstehen?Stahl: Absolut. Aber auch nur unter der Prämisse, dass die Rolle, die ihr die Bundesanwaltschaft zugedacht hat, zutrifft. Denn nur unter dieser Voraussetzung wäre Frau Zschäpe überhaupt in der Lage, Aufklärendes beizutragen. Aber für die Mandantin geht es darum, dass für sie die höchste Sanktionierung des deutschen Strafrechts im Raume steht: die lebenslange Freiheitsstrafe mit dem Risiko der anschließenden Sicherungsverwahrung. Selbst wenn ein Mandant in dieser Situation den inneren Drang spürt, Dinge aufzuklären und richtig zu stellen, muss jeder Verteidiger zur absoluten Vorsicht raten und alle prozessualen Mittel eines Angeklagten sorgsam auswählen. Dazu gehört auch das Recht, zu schweigen. Das ist in dieser Konstellation der richtige Weg. Das sieht auch die Mandantin selbst so. Sie will schweigen. Extra

Als der Koblenzer Strafverteidiger Wolfgang Stahl mit seinem Kölner Kollegen die Verteidigung von Beate Zschäpe übernahm, musste er mit einem Großverfahren rechnen. Der Prozess dürfte vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München im Frühjahr beginnen. Zschäpe (37) wurde dort angeklagt, weil fünf von zehn Morden in Bayern verübt wurden. Sie gilt als einzige Überlebende an der Spitze des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Für die Bundesanwaltschaft ist sie Mittäterin, obwohl sie nicht direkt an den Morden beteiligt war. Die Anklage wirft ihr Mittäterschaft vor, weil sie von den Morden gewusst und sie auch gewollt haben soll. Außerdem habe sie wichtige Arbeit im Hintergrund geleistet. Sie soll das Geld verwaltet, falsche Papiere besorgt und am Bekennervideo mitgewirkt haben. Außerdem soll sie nach dem Selbstmord von Uwe Böhnhard und Uwe Mundlos das NSU-Hauptquartier in Zwickau angesteckt haben. us

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