Deutschland, welttauglich

Mit den Augen der Welt blicken wir auch auf uns selbst. Wir sehen ein Land, in dem die Gäste sich wohl fühlen. Wir sehen eine phantastische Infrastruktur. Wir sehen, dass wir freundlich sein und wie immer gut organisieren können.

Wir sehen, dass wir unser Vaterland lieben, wie andere ihrs. Wir sehen, dass wir feiern können, mehr mit Samba als mit Humba, Humba. Und dass unsere Mannschaft gut spielt, sehr gut sogar. Wir müssen dafür nicht mal Weltmeister werden. Obwohl wir natürlich gewinnen wollen. Aber das wollen die anderen auch, und wenn sie besser sind, werden wir es ihnen gönnen. Mit der WM präsentiert sich das wiedervereinigte Deutschland nach einer Reifezeit von 15 Jahren zum ersten Mal der Welt. Und gibt, das kann man zur Halbzeit schon sagen, ein Bild von sich frei, das viele Vorurteile und Ängste korrigiert. Auch manche Selbsteinschätzung. Dieses Deutschland ist in der globalisierten Welt angekommen. Als selbstbewusster Partner der anderen. Heute muss man kooperieren, wetteifern und Ideen haben, um voranzukommen. Größe zählt wenig und plumper Nationalstolz nichts. Es zählt die gegenwärtige und künftige Leistungsfähigkeit. Der Fußball hat sich als sportlicher Ausdruck der Globalisierung durchgesetzt. Jeder kann jeden schlagen, Systeme, Technik und Fitness nähern sich an. Der Satz: "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein", trägt nicht weit, nicht am Ball, nicht in der Wirtschaft. Es ist schön, in Deutschland zu leben und dieser Nation anzugehören, ja, das kann man sagen. Weil es so ist, und weil das viele von ihrem Land auch sagen können. Die Jüngeren wachsen in der globalisierten Welt wie selbstverständlich auf, die älteren Jahrgänge haben längst Erfahrungen mit ihr. Schon kleinere Unternehmen machen Geschäfte im Ausland, und nicht nur ihre Manager, auch ihre Techniker sind dort unterwegs. Gar nicht zu reden vom Tourismus, in dem die Deutschen tatsächlich Weltmeister sind, so wie beim Export. Vielleicht ist es gut, dass uns mit der Wende die osteuropäische Konkurrenz so mit Wucht getroffen hat. Wir haben gelernt, dass wir uns nicht ausruhen können, nicht auf ewig unschlagbar sind, wie Franz Beckenbauer 1990 für den Fussball formulierte. Reformstau, Pessimismus, Mutlosigkeit, es gab vor noch nicht allzu langer Zeit ein Deutschland, das vor den Herausforderungen der neuen Zeit zu verzagen schien. Und nun sehen wir ein Land, das an sich gearbeitet hat. Es ist seltsam, aber man mag in diesen Tagen all die Profilierungsversuche und gestanzten Tabus gar nicht mehr hören, die Politiker im Gezerre um die großen Reformen von sich geben. Da ist vieles noch nicht ganz welttauglich. nachrichten.red@volksfreund.de

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