"Deutschlands Wohlstand hängt von Europa ab"

Deutschland leidet an einem Trauma mit dem Euro. Das sagt der Luxemburger EU-Abgeordnete und Sozialist Robert Goebbels. Der 67-Jährige gehörte 1985 zu den Unterzeichnern des Schengen-Abkommens, mit dem die Grenzkontrollen zwischen den EU-Staaten abgeschafft wurden.

"Der Euro hat seit Anbeginn in Deutschland schlechte Presse. Dabei profitiert die Bundesrepublik am meisten von der gemeinsamen Währung. Der deutsche Exportweltmeister (im Verhältnis zu Bevölkerungszahl selbst für China unerreichbar) erzielt fast die Hälfte seiner Ausfuhren im Euro-Raum, unbedroht von Abwertungen oder Wechselkursverlusten.
Hätten die Deutschen mit ihrer geliebten D-Mark besser gewirtschaftet? Nach dem 9. September 2001, den Kriegen in Afghanistan, in Irak, oder der Weltfinanzkrise wäre ohne Euro das Währungsgefüge in Europa explodiert. Viele EU-Länder hätten abgewertet. Die D-Mark wäre unter ständigen Aufwärtungsdruck geraten, auch gegenüber Dollar, Pfund und Yen. Anschauungsunterricht liefert die missliche Lage des zu starken Schweizer Franken, nunmehr zur Konsolidierung an den Euro angebunden.
Gewiss, die Deutschen hätten überall in der Welt mit ihrer harten D-Mark billige Ferien machen können. Aber nach der Heimfahrt hätten viele ihren Arbeitsplatz riskiert. Eine zu starke D-Mark hätte die deutsche Exportwirtschaft erdrosselt und die deutschen Tourismus- und Handelsbranchen wären für Ausländer zu teuer geworden.
Der verunglimpfte "Teuro" (als ob es mit der D-Mark keine Preisaufschläge gegeben hätte) ist in Wahrheit eine Erfolgsstory. Binnen eines Jahrzehnts ist der Euro zur zweitwichtigsten Währung der Welt herangewachsen. Ein Drittel aller internationalen Währungsreserven werden in Euro gehalten, ein Drittel aller privaten Anleihen in Euro emittiert. Mit einem Plus von 1,40 zum Dollar bleibt der Euro stark, trotz Griechenland und Co. Das bedeutet zum Beispiel billigeres Erdöl für die Europäer als für die Amerikaner. Von Anbeginn hat die auf Stabilitätspolitik bedachte Europäische Zentralbank es geschafft, die Inflation im Euroraum unter derjenigen der USA oder Großbritanniens zu halten!
Es gibt kein Euro-Problem. Es gibt bloß Probleme mit der Haushaltslage einiger Euro-Länder. Die große Politik tut sich schwer, die Schuldenkrise im gemeinsamen Interesse zu entschärfen. Der nach zu viel Zögern aufgespannte Rettungsschirm wird gerade in Deutschland viel kritisiert.
Befürchtet wird eine Transferunion mit Deutschland als Zahlmeister für die "Faulpelze" im Süden. Übersehen wird dabei, dass die Transfers bloß Kredite sind, an denen die Kreditgeber Geld verdienen. Käme es zum Staatsbankrott in Griechenland, würden deutsche Banken, Versicherungen und Pensionsfonds Milliarden verlieren. Deshalb muss Europa den unter Druck geratenen EU-Ländern helfen, ihre Finanzen zu sanieren und ihre Schulden dank einer tragbaren Zinslast abzutragen.
"Eurobonds" heißt das Zauberwort. Wenn alle EU- oder zumindest die Euro-Staaten gemeinsame Anleihen platzieren würden, entstünde ein Kapitalmarkt, der liquider wäre als der Markt für US-Staatsanleihen.
Leider werden Eurobonds in Deutschland verteufelt: Diese würden die Euro-Länder zum finanzpolitischen Laxismus (Anmerkung der Redaktion: Laxismus ist eine Richtung der katholischen Moraltheologie, die Handlungen auch dann für erlaubt hält, wenn nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für das Erlaubtsein dieser Handlungen spricht) verführen und die Kreditaufnahme der Bundesrepublik verteuern. Beides ist nachweisbar falsch.
Laut den Juncker-Tremonti-Vorschlägen wären Eurobonds kein Freibrief für uneingeschränkte Kreditaufnahme. Die Staaten könnten sich bloß bis zu einer Obergrenze von 60 Prozent ihres Sozialprodukts mit Eurobonds eindecken, eine starke Einladung zur Sanierung der nationalen Finanzen. Die Größe des Marktes für Euro-Obligationen würde internationale Anleger anziehen und damit für niedrige Zinsen für alle sorgen.
Die Anleihen der Europäischen Investitionsbank (EIB) belegen dies. Die EIB sammelte dank der Garantie aller EU-Staaten letztes Jahr an die 70 Milliarden € ein, dies je nach Laufzeit zu Zinsen um die 2,5 Prozent; vier Prozent für 20 Jahre. Das ist so gut wie Bundesschatzbriefe!
Von wegen Zahlmeister Deutschland: Die Deutschen zahlen zwar das meiste Geld in den EU-Haushalt, kassieren aber indirekt überall mit. Der mit EU-Geldern finanzierte Athener Flughafen wurde von Hochtief gebaut. Das Europaviertel in Luxemburg ist ein Tummelplatz für die deutsche Bauindustrie. Deutschlands Wohlstand hängt sehr eng vom Gedeihen Europas ab!" Robert Goebbels
Robert Goebbels, Jahrgang 1944, arbeitete zunächst als Journalist. Von 1970 bis 1975 war er Generalsekretär der Luxemburgischen Sozialistischen Arbeiterpartei (LSAP). 1984 wurde er zum Staatssekretär für Außenbeziehungen und zum Staatssekretär für Wirtschaft und Mittelstand der Regierung von Jacques Santer ernannt. In dieser Funktion unterzeichnete er am 14. Juni im luxemburgischen Moselort Schengen den Schengen-Vertrag, mit dem die Grenzkontrollen zwischen den EU-Staaten abgeschafft wurden. Ab 1989 war er Minister für Ökonomie, Transport und öffentliche Bauten, und in der Regierung von Jean-Claude Juncker Minister für öffentliche Bauten und Energie. Seit 1999 ist er EU-Abgeordneter für seine Partei und Vizepräsident der Europäischen Sozialisten. red

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