Dick und dicker

Die Deutschen sind zu dick. Und weil das so ist, tritt nun der Bundesgesundheitsminister auf den Plan. Er setzt im Kampf gegen das Übergewicht aber nicht auf Druck von oben sondern auf Vernunft.

Berlin. Wäre es nach Horst Seehofer gegangen, dann müssten die Deutschen heute vielleicht nicht so viele überflüssige Pfunde mit sich herumschleppen. Schon in seiner früheren Amtszeit als Bundesgesundheitsminister habe er versucht, die Bevölkerung zu einer gesunden Lebensweise zu animieren; im Kabinett habe er "aber nur einmal" dazu referieren dürfen, berichtete der Christsoziale augenzwinkernd. Kabinett ist auf Normalmaß geschrumpft

Kein Wunder. Damals hieß der Regierungschef Helmut Kohl, dessen Leibesfülle nicht gerade ein Aushängeschild für Seehofers Vorstoß gewesen wäre. Inzwischen ist das Kabinett weit gehend auf Normalmaß geschrumpft, und als amtierender Verbraucherschutzminister unternahm Seehofer gestern einen neuen Anlauf zur Stärkung der Volksgesundheit. Zentrales Ziel sei es, "bis 2020 das Ernährungs- und Bewegungsverhalten nachhaltig zu verbessern, die Zunahme von Übergewicht bei Kindern zu stoppen und die Verbreitung von Übergewicht zu verringern". So steht es in einem Eckpunktepapier, das der Bayer gemeinsam mit Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) in Berlin vorstellte. In der Vorlage wird darauf verwiesen, dass in Deutschland mittlerweile 37 Millionen Erwachsene und zwei Millionen Kinder zu viele Pfunde auf die Waage bringen. Mindestens jeder dritte Deutsche bewegt sich viel zu wenig. Die Folgen sind ebenso schmerzlich wie kostenträchtig: Jede fünfte Frau und jeder siebte Mann leidet an chronischen Rückenschmerzen. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind ebenfalls auf dem Vormarsch. Allein dadurch entstehen den Krankenkassen jährlich Behandlungskosten von 35 Milliarden Euro. Weitere 25 Milliarden Euro schlagen durch Krankheiten des Muskel- und Skelettsystems zu Buche. Insgesamt gehen 30 Prozent aller Kassenausgaben auf ernährungsbedingte Gesundheitsstörungen zurück. Das sind mehr als 70 Milliarden Euro.Seehofer stellte klar, dass es bei dem Plan nicht um neue Vorschriften oder Bevormundungen gehe, sondern um "Vernunft und Hilfe". Ein Feldzug gegen Lebensmittel wie Zucker oder Fett kommt für beide Ministerkollegen genauso wenig infrage wie etwa ein Dekret zur täglichen Ausführung von zehn Kniebeugen. Stattdessen setzt man auf mehr Aufklärung besonders von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen, die einen überdurchschnittlichen Anteil an Übergewichtigen aufweisen. Zugleich mahnt das Papier eine "ausgewogene Kost in Kantinen" an, die auch für Unternehmen von Nutzen sei, weil bei den Beschäftigten weniger krankheitsbedingte Fehltage anfallen würden. Ein weiterer Punkt ist die Verbesserung der Kennzeichnung von Lebensmitteln. Für eine gesunde Ernährung sei die Produktaufschrift eine wichtige Informationsquelle, heißt es in dem Papier. Dazu werde es Verhandlungen auf EU-Ebene geben. Eine klare Kennzeichnung mit Farben, wie es die Grünen fordern, lehnte Seehofer allerdings ab. Ein Produkt mit der Farbe Rot wäre dann per se gesundheitsgefährdend, obwohl darin auch notwendige Nährstoffe enthalten sein könnten, erläuterte Seehofer. "So einfach ist es nicht."Minister planen nationalen Aktionsplan

Darüber hinaus will sich die Regierung mit Ländern, Kommunen und Sportverbänden für mehr Bewegung im Alltag einsetzen. "Dazu zählen abwechslungsreiche Spielplätze, sichere und reizvolle Fuß- und Fahrradwege, wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten und attraktive Parks", heißt es in dem Konzept.Die Vorlage ist der Ausgangspunkt für einen "nationalen Aktionsplan", den Seehofer und Schmidt noch mit den Ländern und Kommunen abstimmen müssen. Nach Angaben der Gesundheitsministerin soll der gemeinsame Beschluss im Frühjahr 2008 unter Dach und Fach sein. Von der Opposition wurde das Eckpunktepapier als unzureichend kritisiert. Statt konkrete Maßnahmen zu treffen, verzettele sich die Regierung in lückenhaften Zielen, bemängelte Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke. extra Wie kann Übergewicht berechnet werden? Mit einem Body-Mass-Index (BMI). Dieser Wert setzt das Körpergewicht ins Verhältnis zur Körpergröße. An ihm kann abgelesen werden, ob jemand normal-, über- oder untergewichtig ist. Der Index wird aus dem Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat berechnet. Ein BMI von mehr als 25 gilt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Grenze zum Übergewicht, von 30 an beginnt die starke Übergewichtigkeit. Einige Ernährungswissenschaftler kritisieren den BMI als zu vereinfachend. So berücksichtigt er zum Beispiel nicht, wie sich die Körpermasse aus Fett und Muskelmasse zusammensetzt.

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