"Die Altersarmut wird nicht bekämpft"

Berlin · Die Gewerkschaften gehörten genauso zu den Adressaten wie Arbeitgeber- und Sozialverbände: 60 große Lobby-Gruppen bekamen am Mittwochabend elektronische Post vom Bundesarbeitsministerium mit der Bitte um eine Stellungnahme. Inhalt war der Gesetzentwurf zur Rentenrefom.

Berlin. Es ist das erste große Projekt der schwarz-roten Koalition, das die zuständige Ministerin Andrea Nahles (SPD) im Eiltempo auf den Weg gebracht hat. Und es ist nicht unumstritten, wie erste Reaktionen zeigen. Der 23 Seiten starke Entwurf, der unserer Zeitung vorliegt, sieht unter anderem verbesserte Mütterrenten und eine abschlagfreie Rente mit 63 vor. Die wichtigsten Details:
Mütterrente: Vom 1. Juli an sollen Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, für ihre Erziehungsleistung statt einen zwei Rentenpunkte gut geschrieben bekommen. Ihre Rente erhöht sich dadurch um gut 28 Euro im Westen und knapp 26 Euro im Osten. Eine Gleichstellung mit den Müttern jüngerer Kinder wird dadurch allerdings immer noch nicht erreicht.
Unter die Neuregelung fallen auch 9,5 Millionen Mütter und Väter, die jetzt schon Rente beziehen. Um den Verwaltungsaufwand in Grenzen zu halten, werden ihre Bezüge nicht neu berechnet. Stattdessen gibt es den Rentenpunkt pauschal oben drauf. Trotzdem wird die Umstellung Zeit kosten. Zu erwarten ist, dass das Geld erst am Jahresende ausgezahlt wird, dann aber rückwirkend zum 1. Juli.
Rente mit 63: Schon heute darf mit 65 abschlagsfrei in den Ruhestand gehen, wer 45 Versicherungsjahre vorweisen kann. Für jeden Monat vor dem regulären Renteneintritt werden die Altersbezüge ansonsten um 0,3 Prozent gekürzt. Nun ist vorgesehen, dass man bei 45 Versicherungsjahren schon mit 63 abschlagsfrei Rente beziehen kann. Das gilt aber nur für Rentenneuzugänge ab 1. Juli 2014 und auch nur zeitlich befristet.
Für ab dem Jahr 1953 Geborene steigt die Altersgrenze mit jedem Jahrgang um zwei Monate. Wer zum Beispiel 1955 geboren ist, kann also erst mit 63 Jahren und sechs Monaten abschlagfrei in Rente gehen. Für ab 1964 Geborene liegt das abschlagfreie Renteneintrittsalter dann wieder bei 65 Jahren.
Weiterer Haken: Bei den 45 Versicherungsjahren werden zwar auch Zeiten der Arbeitslosigkeit eingerechnet, wie es die SPD immer wollte, aber nur vergleichsweise kurze, für die es Arbeitslosengeld I gab. Langzeitarbeitslose mit Hartz IV oder der früheren Arbeitslosenhilfe bleiben außen vor.
Erwerbsminderungsrente: Personen, die aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand gehen, werden bei der Rente künftig so gestellt, als hätten sie bis 62 gearbeitet und dabei durchschnittlich verdient. Das sind zwei Jahre mehr als nach geltendem Recht. Ihre monatlichen Bezüge steigen dadurch im Schnitt um etwa 40 Euro. Waren die vier Jahre vor Rententritt schon von Krankheit geprägt, schlagen sie nicht mehr rentenmindernd zu Buche.
Kosten: Die Mehrausgaben für die Rentenkasse summieren sich durch die Reform insgesamt auf über 60 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020. Schon 2014 werden 4,4 Milliarden extra fällig. 2015 sind es bereits neun Milliarden. Allein die Mütterrente kostet jährlich 6,7 Milliarden Euro. Durch die abschlagsfreie Rente mit 63 kommt es auch zu Beitragsausfällen, die sich auf bis zu 600 Millionen Euro im Jahr 2030 erhöhen.
Um all das finanzieren zu können, muss der Bundeszuschuss an die Rentenkasse von 2019 an um bis zu zwei Milliarden Euro steigen. Zunächst wird die Reform vor allem durch eine Abschmelzung der Rentenrücklagen (derzeit 31 Milliarden Euro) erkauft. Außerdem soll der Rentenbeitragssatz in den kommenden Jahren bei 18,9 Prozent stabil bleiben. Ohne die Reform wären bis 2017 nur 18,3 Prozent nötig gewesen.
Zeitplan: Am 29. Januar soll die Gesetzesvorlage zur Beschlussfassung ins Kabinett gehen. Im Mai wird sich der Bundestag erstmals damit beschäftigen. Die endgültige Verabschiedung ist noch vor der Sommerpause geplant.

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