"Die Arbeitsplätze sind bei Ihnen in der Einkaufstüte"

BERLIN. Renate Künast (49) ist seit Januar 2001 Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Die ledige Berlinerin, die aus dem Ruhrgebiet stammt, ist gelernte Sozialarbeiterin und Rechtsanwältin. Künast, die auch schon Parteivorsitzende der Grünen war, sitzt seit 2002 im Deutschen Bundestag.

Frau Künast, "Geiz ist geil" heißt die Parole in Deutschland. Ist die Philosophie, die dahinter steht, ein Teil des Problems, das wir im Lande haben? Künast: Ja, es ist ein Teil des Problems, das auch zu der Verwunderung beiträgt, die viele Verbraucher haben. Die fragen nämlich: "Wo sind denn die Arbeitsplätze?" Ich sage manchmal: "Bei Ihnen in der Einkaufstüte." Offenbar ist an dieser Stelle gar nicht das Bewusstsein da, dass man mit seinem persönlichen Konsumverhalten über Arbeitsplätze in Deutschland und Europa entscheidet. Gehört es zu Ihren Aufgaben, das Bewusstsein zu wecken, dass preiswert etwas anderes heißt als billig?Künast: Genau das versuchen wir. Aber wir können nur Informationen bieten, die Entscheidung müssen die Verbraucher selber treffen. Trotz des Weihnachtsgeschäfts, die Binnennachfrage ist mau. Kann eine völlige Freigabe der Ladenöffnungszeiten helfen, das Problem zu lösen? Künast: Ich glaube, dass es Sinn macht, differenziert vorzugehen. Eine flächendeckende Veränderung bei den Ladenöffnungszeiten über das hinaus, was wir jetzt schon haben, wird kaum weiterhelfen. Aber es könnte Sinn machen, bei besonderen Anlässen, großen Messen oder Feiertagen, differenzierte Einkaufsmöglichkeiten anzubieten. Aber es muss sich für jeden Einzelnen rechnen. Es hilft niemandem, wenn wir am Ende rund um die Uhr einkaufen können, aber kein Service mehr stattfindet. Wie haben die Verbraucher im Jahr 2004 konkret von der Arbeit der Verbraucherschutzministerin profitieren können? Künast: Wir haben den ganzen Lebensmittelsicherheitsbereich neu aufgestellt, haben bei der Gentechnik Pflöcke eingerammt und die Kennzeichnungspflicht verbessert. In den Bereichen Telekommunikation und Internet haben wir Regeln dafür gesetzt, dass die Verbraucher nicht mehr mit Unmengen unerwünschter Werbung belästigt werden. Es kommen immer mehr Lebensmittel in den Handel, die gentechnisch verändert sind, ohne dass der Verbraucher dies direkt merkt. Könnte man die Kennzeichnungspflicht nicht noch verbessern? Künast: Also, wir können das nicht machen wie bei einem Holzschutzmittel, dass wir dann einen Totenkopf darauf machen. Gen-Produkte sind auf europäischer Ebene zur Ernährung zugelassen. Deshalb können wir auch die Kennzeichnungsregeln nur europäisch lösen. Eines Ihrer Lieblingsthemen sind die nachwachsenden Rohstoffe. Die Bevölkerung kann damit noch nicht viel anfangen. Wo liegt das Problem? Künast: Ich finde, dass die Bevölkerung schon recht viel damit anfangen kann. Aber vielleicht hat man noch nicht überall das ungeheure Potential erkannt. Tatsache ist, dass Erdöl nicht nachwächst. Es macht also Sinn zu überlegen: Gibt es Alternativen zum Öl? Deshalb reden wir über Sonnen- und Windenergie, aber eben auch über Rohstoffe, die anders als Kohle und Öl nachwachsen. Die Leute sollen sich also vorstellen, dass Raps oder Sonnenblumen zumindest teilweise das Erdöl ersetzen? Künast: Ja. Nachwachsende Rohstoffe kann man stofflich nutzen, als Dämmstoffe beim Hausbau oder beim Autobau. Das andere ist die Nutzung als Energie: Strom, Wärme, Sprit. In dieser Richtung bewegt sich richtig etwas. Wir wollen in Europa in einigen Jahren 5,75 Prozent des Kraftstoffverbrauchs aus nachwachsenden Rohstoffen decken. Spannend ist das Thema auch für Klima und Umwelt. Sie können schon jetzt Biodiesel fahren. Mein Ehrgeiz ist, dass wir damit weltweit vorne sind, und deshalb investieren wir in Forschung und Entwicklung. Die Grünen sind gegen Tabakwerbung und tendenziell gegen Rauchen, aber sie plädieren für die Freigabe von Cannabis und Haschisch. Wie passt das zusammen? Künast: Dies ist keine Gesundheitsfrage, sondern es geht darum, dass im Strafrecht wie im Ordnungswidrigkeitenrecht die einzelnen Delikte im richtigen Verhältnis zueinander stehen. Natürlich müssen Körperverletzung und Diebstahl bestraft werden. Aber warum sollte Tabak- oder Haschischrauchen bestraft werden? Was wünschen Sie sich für 2005? Künast: Wirtschaftliche Fragen mit Umwelt- und sozialen Fragen verknüpfen: Das ist etwas, was mir auf der Seele liegt. Jeder kann etwas dafür tun: Bioprodukte kaufen, umweltbewusst konsumieren. An dieser Stelle ist es auch eine Abkehr von dieser "Geiz ist geil"-Mentalität. Es wundert mich, dass viele Leute auf ihr Auto achten, aber das, was auf dem Abendbrottisch ist, hält nicht immer den höchsten Ansprüchen stand. S Das Gespräch führte Bernard Bernarding.

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