Die Bürger entlasten

Trotz Börsenkrise und steigender Konjunkturrisiken plant die Bundesregierung derzeit kein Hilfsprogramm für die Wirtschaft. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, macht sich dagegen für eine weitere Senkung der Sozialabgaben stark, um die Binnennachfrage anzukurbeln. Mit Walter sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter.

Die Politik gibt sich wieder einmal zuversichtlich. Hat der Bürger Grund zum Misstrauen?Walter: Die Bundesregierung dafür zu tadeln, dass sie auf unbestreitbar gute Wirtschaftsdaten in Deutschland hinweist, ist sicher fehl am Platz. Allerdings lässt sich die Unsicherheit über das, was nach den Erfahrungen des letzten halben Jahres an den Finanzmärkten noch passieren könnte, auch nicht weg- diskutieren. Die USA haben ein milliardenschweres Konjunkturprogramm aufgelegt und ihre Leitzinsen drastisch gesenkt, um die Lage zu beruhigen. Was kann die Bundesregierung davon lernen? Walter: Wenn die Bundesregierung sagt, wir sind nicht in einer schwierigen Situation, dann gibt es auch keinen Grund, Hilfsprogramme aufzulegen. Ich teile diese Einschätzung nur zum Teil. Die deutsche Politik und viele deutsche Unternehmer unterschätzen den Einfluss der Weltwirtschaft auf die deutsche Konjunktur. Das betrifft die Abschwächung der Nachfrage in den USA und ihre Wirkung auf den Rest der Welt, aber auch die starken Wechselkurs-Veränderungen im Dollar-Raum. Was folgt daraus? Walter: Dass der einzig starke Konjunkturmotor Europas und vor allem Deutschlands, nämlich der Export, deutlich schlechter laufen wird als bislang angenommen. Demnach müsste die Bundesregierung dem US-Beispiel folgen und Steuern senken.Walter: Die Bundesregierung darf die Hände nicht in den Schoß legen. Nötig sind weitere Reformen, die den Bürger nachhaltig entlasten. Ich plädiere nicht für Steuer-, sondern für Beitragssenkungen. Denn dadurch ist der Entlastungseffekt für Durchschnittsverdiener höher. Die deutliche Reduzierung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung weist in die richtige Richtung. Das reicht aber noch nicht aus. Soll die Europäische Zentralbank die Leitzinsen senken?Walter: Nein. Wir haben schon eine starke Ausweitung der Geldmenge. Eine Zinssenkung würde diese Entwicklung weiter anheizen. Außerdem verzeichnen wir eine deutlich höhere Inflation, als sie die Zentralbank eigentlich zulassen will. Im Falle einer Zinssenkung würde bei den Bürgern nur die Botschaft hängen bleiben, dass sich die Zentralbank um angeschlagene Bankhäuser kümmert, aber nicht um ihr Interesse an stabilen Preisen. Das wäre fatal.Ist der Aufschwung in Deutschland durch den Börseneinbruch vorbei? Walter: Das glaube ich nicht. In Deutschland ist der Einfluss von Aktienkursen auf die Konjunktur beim Konsum relativ schwach, weil es etwa im Vergleich zu Großbritannien nur wenige Aktienbesitzer gibt. Sinkende Aktienkurse haben allerdings auch zur Folge, dass die Beschaffung von neuem Eigenkapital für Unternehmen erschwert wird. Das ist besonders für risikoreiche Investitionen ungünstig. Andererseits stehen viele Unternehmen glänzend da, so dass sie ihre Investitionen auch mit selbst verdientem Geld bezahlen können. Zur Person Norbert Walter ist Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Er engagiert sich im Gremium der "Sieben Weisen" zur Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte bei der EU-Kommission, Brüssel. Zudem ist er Mitglied in der interinstitutionellen Monitoring-Gruppe zur Überwachung der Wertpapiermärkte. Er ist Beiratsmitglied des Fördervereins Ökologische Steuerreform.

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