Die Ehe ist kein Muss mehr, sondern eine Möglichkeit - Immer weniger Scheidungen

Trier · Der Tod, dessen Aufgabe das Scheiden von Ehen doch eigentlich wäre, tut dies nur in zwei Dritteln aller Fälle. Womöglich spielt er in Zukunft wieder eine etwas größere Rolle: Die Zahl der Scheidungen sinkt.

Trier/Bitburg/Wittlich. Ehescheidungen seien ganz harte Fakten, sagt Johannes Kopp, der an der Trierer Uni empirische Sozialforschung lehrt. Und anhand dieser Fakten lässt sich ganz wunderbar beobachten, wie sich die Gesellschaft verändert.

Die Ehe ist nicht mehr das, was sie einmal war. Sie ist kein Muss mehr. Sie ist zur Möglichkeit geworden. Denn Paare können heute genauso gut ohne Trauschein zusammenleben. "Wenn meine Tochter mit 18 zu mir käme und sagt: ,Papa, ich will heiraten', würde ich sagen: Zieht doch erst mal zusammen", sagt der Soziologie-Professor, der schon in den 90er Jahren begonnen hat, Scheidungsursachen zu untersuchen.

Und viele tun genau das: Sie ziehen einfach zusammen und leben in "wilder Ehe". Wenn man noch dazu bedenkt, dass es wegen des demografischen Wandels immer weniger junge Menschen gibt, die sich die ewige Liebe versprechen könnten, wundert es nicht, dass die Zahl der Trauungen rückläufig ist: In den 60er Jahren wurden in Rheinland-Pfalz noch mehr als 30.000 Ehen pro Jahr geschlossen, inzwischen sind es 10.000 weniger.

Wenn sich Paare heute lebenslange Liebe versprechen, dann sind sie zudem meist deutlich älter als früher. 1950 war der rheinland-pfälzische Bräutigam im Schnitt 29 Jahre alt. Heute ist er siebenunddreißigeinhalb. Die Durchschnittsbraut - damals noch im zarten Alter von 26 Lenzen - ist seit den 50er Jahren um mehr als acht Jahre gealtert und bringt es nun auf mehr als 34 Jahre.

Das alles hat womöglich sein Gutes. Da die Paare völlig freiwillig heiraten, da sie bereits reichlich Erziehungserfahrung mitbringen oder vielleicht sogar schon einige Jahre zusammenleben und sich gut kennen, könnte es sein, dass diese neuen Ehen beständiger sind. Das jedenfalls wäre laut Kopp eine mögliche Erklärung für einen Trend bei den Scheidungszahlen: Sie sind in Rheinland-Pfalz nun schon zum vierten Mal in Folge rückläufig. Seit 2011 hat die Zahl der Scheidungen (11.041) um 20 Prozent abgenommen. 2015 ließen sich nur noch 8835 Paare trennen. Die Zahl der Eheschließungen ist im gleichen Zeitraum nur unwesentlich gesunken. Seit etwa 15 Jahren hat sie sich kaum verändert: Rund 20.000 Rheinland-Pfälzer gehen jährlich den Bund der Ehe ein. Mal ein paar mehr, mal ein paar weniger.

Out ist diese Lebensgemeinschaft also nicht. Im Gegenteil. Jugendstudien zeigen: Eine dauerhafte Partnerschaft und Familie gehören für junge Menschen zu den wichtigsten Wünschen. "Ich will nie im Leben heiraten, sagt fast niemand", sagt Kopp.

An den Dingen, die Beziehungen zusammenhalten - die das Kapital der Ehe sind - hat sich nicht viel geändert. "Gemeinsame Kinder sind bei allen Problemen, die durch Kinder auch entstehen, etwas, was Partner zusammenhält", sagt der Soziologieprofessor. Ein gemeinsames Haus gibt man so schnell nicht auf. Auch gemeinsame Lieblingsfernsehserien und Sex schweißen zusammen. So manche Ehe schenkt auch sozialen Status, den man nicht aufgeben möchte. "Die Frau des Metzgers ist Chefin. Die geschiedene Frau des Metzgers ist Fleischereifachverkäuferin", sagt Kopp.

Und natürlich gibt es auch immer noch Ehen, die vor allem deswegen halten, weil die Frau finanziell abhängig ist. Eine Trennung kostet extrem viel Mut, wenn man 50 ist, keinen Beruf hat und in einer ländlichen Gegend lebt, wo es nur wenige Jobs gibt.

Wer jung ist und liebt, muss hingegen lernen damit umzugehen, dass die Flitterwochen nicht ewig dauern. "Die romantische Verliebtheit ist nach zwei bis sechs Jahren vorbei", sagt Kopp. Wenn es gut läuft, wird das Paar zum Team und ist zufrieden. Immerhin: In zwei Dritteln aller Ehen scheint dies bisher zu gelingen. Sie halten, bis der Tod die Liebenden scheidet.

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------EXTRA

2015 wurden in Rheinland-Pfalz laut Statistischem Landesamt 9,4 von 1000 Ehen aufgelöst sowie insgesamt 47 gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften.
Das höchste Scheidungsrisiko haben Menschen, die im Landkreis Kaiserslautern leben: 12 von 1000 Ehen gingen dort im Schnitt der Jahre 2013 bis 2015 in die Brüche.
Die wenigsten Scheidungen gibt es im Landkreis Kusel: Nur 6,3 von 1000 Ehen wurden dort aufgelöst. Die Zahl der Scheidungskinder hat sich seit den 50er Jahren verdoppelt: 1950 waren von 3319 Scheidungen 3297 Kinder betroffen.
2014 rissen Eheprobleme 9022 Paare auseinander - 6757 Kinder bekamen das zu spüren. 1950 waren 43 Prozent der Paare, die sich trennten kinderlos, 2014 hatten 52 Prozent keinen Nachwuchs. Von den im Jahr 2015 beendeten Ehen sind die meisten - 456 - erst im Jahr 2010 geschlossen worden. Aber auch "alte Liebe rostet".
Insgesamt 1514 Paare hatten zum Zeitpunkt der gerichtlichen Trennung ihrer Beziehung bereits die silberne Hochzeit gefeiert. Mos

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Lebensberater: "Paaren fehlt oft die Zeit, Alltagswidrigkeiten zu klären."

Wittlich. Viele Paare kommen erst zur Beratung, wenn es schon zu spät ist, wenn einer sich innerlich bereits aus der Beziehung verabschiedet hat. Wenn Wut, Enttäuschung, Vorwürfe und Rachegelüste das Miteinander beherrschen und vor allem die Frage zu klären ist: Wie sagt man den Kindern, dass man sich trennen wird? Und wie geht es danach für die Familie weiter?

Dabei sind laut Ludger Brünnette, Leiter der Lebensberatung Wittlich, fast alle Paare einst glücklich gestartet mit der Vorstellung, möglichst lange zusammenzubleiben. Was läuft da schief? "Im Alltag fehlt oft die Zeit, Alltagswidrigkeiten zu klären", sagt Brünnette. Man übergeht sie. Im Einzelnen sind sie auch nicht tragisch. Doch summieren sie sich, beginnen groß zu werden und erlangen Bedeutung. Das kann dazu führen, dass man die Toleranz und die Liebe verliert. "Wie ein Auto Inspektionen braucht, so muss man auch Partnerschaften auffrischen", sagt der Psychologe. Wichtig sei eine Sprache zu finden, in der man Probleme, die man mit dem anderen hat, ansprechen kann - ohne vorwurfsvoll oder verächtlich zu werden. Stattdessen sei es besser, Ich-Botschaften zu senden - von den eigenen Befindlichkeiten und Wünschen zu sprechen.

Ganz entscheidend sei es auch, im Streit nicht so weit zu gehen, dass großer Schaden entsteht. "Gute Paare hören nach drei bis vier Mal hin- und herstreiten auf", sagt Brünnette. Schlechte Paare fetzen sich so lange und bösartig, bis Ärger und Enttäuschung so groß sind, dass es einen riesigen Aufwand erfordert, sich wieder nahezukommen. Auch hier vergleicht Brünette die Partnerschaft mit einem Auto: Ein Kratzer ist schnell gekittet. Aber wenn man mit Vollgas vor eine Mauer fährt, wird die Reparatur zur Großinvestition.

Konflikte zu scheuen, kann aber ebenso schädlich sein wie Streit. Man erwarte dann oft vom Partner, dass der einem ansieht, wie man sich fühlt. "Das kann dazu führen, dass man sich aus den Augen verliert, weil einer alles im eigenen Kopf für sich klärt", sagt Brünnette.

Wie eine gute Partnerschaft funktioniert, kann man lernen, sagt der Psychotherapeut - von Freunden, von der Familie oder in der Paarberatung. Daher lohne es sich, so früh wie möglich Hilfe in Anspruch zu nehmen. Mos

Eifeler lassen sich seltener scheiden als Paare in und um Trier

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort