Die EU will das Tempo drosseln

Berlin. Fragt man die Deutschen, welches Land sie noch in die Europäische Union (EU) aufnehmen würden, dann nennen rund 80 Prozent die Schweiz, Norwegen und Island. Alle drei Länder gehören zu den wohlhabenden. Mit dem Rest haben die Bundesbürger so ihre Probleme.

Denn fragt man die Bundesbürger dagegen, welches Land sie nicht in der Gemeinschaft sehen wollen, stehen Armenhäuser wie Rumänien und Bulgarien und besonders die muslimische Türkei mit fast 75 Prozent an erster Stelle. Lediglich für drei Prozent hat die Aufnahme weiterer Staaten Priorität, 59 Prozent sind generell dagegen, die EU aufzustocken. Das geht aus der gestern von der EU-Kommission in Berlin vorgestellten Umfrage "Eurobarometer" unter 1500 Bundesbürgern hervor. Europa hat also ein gehöriges Akzeptanzproblem. Denn für die europäische Politik ist längst klar, was in Deutschland und vielfach auch in anderen Ländern von den Bürgern mehrheitlich abgelehnt wird: die Ausdehnung der Union. Dass die EU durch die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien auf 27 Mitglieder wachsen wird, ist beschlossene Sache. Unter österreichischer Ratspräsidentschaft muss nur noch die Entscheidung darüber fallen, ob der Beitritt beider Staaten um ein Jahr auf 2008 verschoben wird. Als Kriterium gilt dabei die Umsetzung geforderter Reformen. Und in Sachen Türkei sind die Beitrittsverhandlungen im vergangen Jahr begonnen worden.Keine Angst, sondern Unsicherheit

"Die Deutschen haben keine Angst vor Europa, sondern sind unsicher über die Auswirkungen der Erweiterungen", fasst der Leiter der EU-Vertretung in Deutschland, Gerhard Sabathil, die Ergebnisse der Studie zusammen. Man kann es auch anders sagen: Die Bundesbürger sind eher Euro-Skeptiker als glühende Euro-Anhänger. Vor allem fühlen sie sich von Erweiterungsplänen überfordert, die in Brüssel und Straßburg vorangetrieben werden. Nur 40 Prozent der Deutschen haben derzeit ein positives Bild von der EU. "Das Tempo der vergangenen Jahre war viel zu zügig", erklärt Matthias Wissmann, Vorsitzender des Bundestags-Europa-Ausschusses, das große Unbehagen der Bundesbürger. Dem könne man nur dadurch begegnen, dass die EU endlich "unbürokratischer wird und das Erweiterungstempo drosselt", fordert der CDU-Politiker gegenüber unserer Zeitung. Dann würden auch die vielen europäischen Erfolge besser wahrgenommen: "Wir sind der größte Exporteur der EU, Millionen von Arbeitsplätzen hängen an Europa." Auch Kommissions-Vertreter Sabathil glaubt, dass die Vorteile für die deutsche Wirtschaft nicht wirklich zur Kenntnis genommen werden. Nur jeder Fünfte verbindet mit der EU wirtschaftliches Wachstum. 64 Prozent haben Angst vor dem Verlust sozialer Standards. Das sind reale Sorgen, das ist europäische Realität. Europa hat also nicht nur, aber auch ein erhebliches Vermittlungsproblem, weshalb die Kommission unlängst den "Plan D" ins Leben rief - man will mehr mit den Bürgern diskutieren, debattieren, Europa besser erklären.

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