Die Frage aller Fragen bleibt offen

BERLIN. Bundeskanzler Gerhard Schröder will die Vertrauensfrage an seine Person koppeln – und muss jetzt zusammen mit Parteichef Franz Müntefering gegen den Autoritätsverlust ankämpfen

Sachlich und nüchtern berichtete Kanzler Schröder gestern gegen Mittag über das von ihm geplante parlamentarische Verfahren der Vertrauensfrage. Er warnte davor, in der jetzigen "politischen Ausnahmesituation", die Verfassungsorgane weiter zu beschädigen und "die Würde der in ihnen handelnden Personen" zu verletzen. Der Machtkampf, das war eine Botschaft, zwischen ihm und Köhler sei beendet. Spekulationen um Schröders Rücktritt damit allerdings auch. Verfassungsrechtler dürfen nun erneut streiten, ob Gerhard Schröders Weg grundgesetzlich hieb- und stichfest ist. Der Kanzler teilte dem Bundespräsidenten mit, dass er seine Vertrauensfrage am 1. Juli nicht an eine Sachfrage, sondern an seine Person koppeln werde. Die Tatsache, dass Schröder in seiner Erklärung deutlich darauf hinwies, er werde den eingeschlagenen, aber heftig umstrittenen Reformweg fortsetzen und dafür kämpfen, lässt zwei Rückschlüsse zu: Einerseits könnte hier sein Ansatzpunkt für die Vertrauensfrage liegen. Dazu äußern will er sich aber erst vor dem Bundestag. Andererseits mag sich dahinter auch ein deutlicher Hinweis an die eigenen Reihen verbergen, dass Schröder keinem anderen das Feld des Spitzenkandidaten bei den anstehenden Bundestagswahlen überlassen wird. Die Frage aller Fragen ließ der Kanzler allerdings offen: Wie er nämlich die Abstimmung organisieren will - wer ihm also das Vertrauen entziehen soll, wozu keiner wirklich bereit ist. Genau diese Ungewissheit war es, die in den letzten Tagen zu ausufernden Spekulationen und verbalen Kurzschlüssen bei den Genossen geführt hatte. Drei Wochen sind es noch bis zur Vertrauensfrage, und auch Schröder weiß, dass er mit seiner Erklärung dem Berliner Chaos längst kein Ende gesetzt hat. Zumal sein Autoritätsverlust nach dem Neuwahl-Coup immens ist. Die giftigen Attacken von führenden Genossen auf Bundespräsident Horst Köhler in den letzten Tagen haben dies deutlich gezeigt. Schröder forderte seine Parteifreunde gestern auf, die Angriffe unverzüglich einzustellen, er habe "volles Vertrauen in die Überparteilichkeit "des Bundespräsidenten, "das gilt auch für die Wahrung der Vertraulichkeit unserer Gespräche", spielte er auf die Indiskretionen an, die es nach einem Telefonat beider über Neuwahlen gegeben hatte. Noch kein Bundespräsident, sagen jedoch langjährige Beobachter, sei so heftig und so offen der Parteilichkeit bezichtigt worden wie Köhler. Eine besondere Rolle nimmt in diesem Konflikt inzwischen SPD-Chef Franz Müntefering ein. Zwischen seinen beiden Auftritten am Mittwochabend im "Heute Journal" und den "Tagesthemen" gönnte er sich in einer Berliner Kneipe eine kleine Auszeit bei Alster und Zigarillo. Allein an einem Tisch machte er sich nachdenklich auf einem Zettel Notizen, wie er im zweiten Interview via Fernsehen seine Genossen von den verbalen Tiefschlägen gegen Köhler abbringen wollte. "Ich finde das nicht in Ordnung, was da geschehen ist, und bedauere die Art und Weise", meinte er also später. Seine Autorität sei jetzt "zumindest eingeschränkt, das ist ganz klar". Fest steht, viele in der Partei nehmen Müntefering übel, dass er nicht Nein gesagt hat zum Neuwahl-Coup.

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