"Die Fußfessel ist kein zahnloser Tiger"

Im Streit um den Umgang mit gefährlichen Kriminellen setzt der parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Max Stadler (FDP), weiterhin auf die elektronische Fußfessel. Das machte er im Interview mit unserer Zeitung klar.

Berlin. (has) Die elektronische Fußfessel habe auch eine vorbeugende Wirkung: Das sagt der parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Max Stadler (FDP), im Gespräch mit dem TV. Die Union sieht das anders. Mit Stadler sprach unser Berliner Korrespondent Hagen Strauß.

Herr Stadler, nehmen Sie die Sicherheit der Bürger auf die leichte Schulter?

Stadler: Keineswegs. Wir sind in einer Situation, in der der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem konkreten Fall einen Verstoß gegen das Verbot der rückwirkenden Verschärfung von Strafgesetzen gesehen hat. Deswegen hat es Entlassungen von Personen aus der Sicherungsverwahrung gegeben, die sich in derselben Situation befinden. Weitere Entlassungen stehen möglicherweise bevor. Das Gebot der Stunde ist, die Kontrolle dieser Personen zu verbessern. Als zusätzliche Maßnahme wollen Bund und Länder neben der polizeilichen Überwachung und der Führungsaufsicht die neue technische Möglichkeit der sogenannten elektronischen Aufenthaltsüberwachung anwenden.

Aber noch mal: Es gibt große Sorgen in der Bevölkerung angesichts der Entlassung von Schwerverbrechern. Können Sie die Bürger beruhigen?

Stadler: Jeder Einzelfall muss richterlich beurteilt werden. Die Bundesregierung hat die jetzige Situation nicht gewollt. Das Rechtsmittel der Bundesjustizministerin gegen das Straßburger Urteil hatte aber leider keinen Erfolg. Gemeinsam mit den Ländern suchen wir jetzt nach Möglichkeiten, den Schutz der Bevölkerung bestmöglich sicherzustellen …

... mit der Fußfessel, die die Union für nicht sonderlich wirksam hält.

Stadler: Es waren doch gerade die Länder, die nach diesem Instrument gerufen haben. Wenn jemand aus der Sicherungsverwahrung entlassen wird, werden ihm Weisungen erteilt, wo er sich aufhalten darf und wo nicht. Und mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung kann dies jedenfalls besser kontrolliert werden. Ein Verstoß gegen solche Weisungen stellt für sich eine Straftat dar, die eine erneute Inhaftierung zur Folge haben kann. Sie ist also kein zahnloser Tiger. Ich erwarte mir von ihr auch eine vorbeugende Wirkung, weil die Betroffenen um die Konsequenzen von Verstößen wissen.

Aber die Gefahr, dass ein Sexualtäter rückfällig wird, bleibt bestehen. Was spricht gegen den Vorschlag aus der Union, Schwerkriminelle in besonderen Einrichtungen unterzubringen?

Stadler: Der Vorschlag der Union hilft bei den Altfällen, die aufgrund der Rechtsprechung des Gerichts jetzt zur Freilassung anstehen, keinen Schritt weiter. Sie kann nur für künftige Fälle gelten. Diese Leute wurden in Sicherungsverwahrung genommen, als es dafür noch eine Höchstgrenze von zehn Jahren gab. Und das Gerichtsurteil besagt, dass man diese Grenze nicht nachträglich aufheben durfte, um die Sicherungsverwahrung zu verlängern. Deswegen können wir diese Personen jetzt nicht einfach nachträglich erneut in Sicherungsverwahrung nehmen.

Was schlagen Sie denn vor?

Stadler: Wir wollen die Möglichkeit, die Sicherungsverwahrung bereits im Urteil anzuordnen, erweitern. Die Ergebnisse des gestrigen Treffens auf Fachebene von Bund und Ländern werden wir jetzt auswerten und dann im Kreise der Koalition nach einer Lösung suchen. Die Zeit drängt. Ich hoffe, dass wir nach der Sommerpause zügig eine Lösung finden werden.

Heißt das aber dann auch: An Polizeibegleitung von Schwerkriminellen geht kein Weg vorbei?

Stadler: Für diejenige Personengruppe, auf die das Urteil anzuwenden ist, ist in der Tat in nächster Zeit polizeiliche Überwachung geboten.

extra Entlassener Gewalttäter klagt: Ein aus der Sicherungsverwahrung entlassener Mann aus dem Saarland klagt vor Gericht gegen seine Beobachtung durch die Polizei. Wie das Verwaltungsgericht des Saarlandes am Freitag in Saarlouis mitteilte, sind eine Klage und ein Eilantrag des Mannes eingegangen. Sie richten sich gegen das saarländische Innenministerium. Eine Entscheidung des Gerichts wird erst in einigen Wochen erwartet. Der Mann war am 12. Mai in die Freiheit entlassen worden, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) das nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte angeordnet hatte. Bundesweit kamen in Folge des Urteils bislang mehr als ein Dutzend als gefährlich eingestufter Straftäter frei. Der 61-Jährige hatte im Alter von 19 Jahren eine junge Frau erwürgt und war später immer wieder gegen Frauen gewalttätig geworden. Mehr als die Hälfte seines Lebens hat er im Gefängnis oder in der Psychiatrie verbracht, zuletzt war er laut seinem Anwalt Michael Rehberger 27 Jahre am Stück weggesperrt. Rehberger sieht für die Überwachung keine Rechtsgrundlage. Eine solche Maßnahme setze eine "gegenwärtige Gefahr" voraus, sagte er. Der 61-Jährige lebt nach wie vor im Hotel. Auf der Straße folgen ihm laut Anwalt zwei Beamte im Abstand von einem und drei Metern sowie noch zwei Beamte in einem Auto.

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