Erotik Die gefährlichen Wünsche der Freier

Trier · Früher hätten sie nicht mal einen Zungenkuss bekommen. Heute verlangen viele Freier Sex ohne Kondom - nehmen so ein großes Risiko auf sich und gefährden die Frauen, womöglich auch ihre eigenen. Wie Untersuchungen des Trie rer Gesundheitsamts zeigen, sind ansteckende Krankheiten im Rotlichtmilieu verbreitet.

"Früher war das so ein angenehmes Arbeiten", sagt Gabi (Name geändert), die seit 26 Jahren im horizontalen Gewerbe tätig ist - zunächst selbst als Prostituierte und seit etwas mehr als zehn Jahren als Chefin eines Trierer Etablissements, in dem wöchentlich wechselnde Frauen käufliche Liebe anbieten. In dieser Zeit hat sich sehr vieles verändert. In Trier. Und überhaupt.

"Früher hätten die Freier nicht einmal gewagt zu fragen, ob es einen Zungenkuss gibt", sagt Gabi. Denn Küsse gab es selbstverständlich nicht. Heute hingegen rufen fast täglich Männer in ihrem Club an, um zu fragen, ob die Mädchen es auch ohne Kondom machen. Nie hätte Gabi das getan. Sie verstehe auch die Männer nicht. Ein anderer Bordellchef sagt: In einem guten Haus gebe es keinen Verkehr ohne Kondom.
Doch offenbar gibt es nicht nur "gute Häuser". Und offenbar haben die Zeiten sich geändert.

Kostenlose Untersuchungen

Denn: Wo eine Nachfrage ist, gibt es auch ein Angebot. Und ein Blick ins Internet bestätigt: Ein großer Teil der Prostituierten wirbt mit Leistungen wie "französisch pur" (ungeschütztem Oralverkehr) oder "französisch mit Aufnahme". Mit ungeschütztem Geschlechtsverkehr wird nicht offensiv geworben. Doch auch der - da ist sich Gabi sicher - ist zu haben. Vermutlich am einfachsten auf dem Straßenstrich (siehe Extra). Dem Betreiber eines heimischen Edelclubs nach gibt es aber auch unter den Etablissements der Region Adressen, die dafür bekannt seien, diesen "Service" zu bieten.

Bringt das doch mehr Geld. Und mehr Geld können viele Frauen gut gebrauchen. Denn der Bordellchefin zufolge laufen die Geschäfte nicht mehr so gut. Der Grund: Das Angebot in der Region Trier ist in den vergangenen zwei bis drei Jahren explodiert: neue Clubs in Bitburg, Wittlich und Trier, neue Terminwohnungen, ein neuer Straßenstrich und eine beachtliche Zahl von Frauen, die nebenberuflich in ihren eigenen Wohnungen Sex anbieten. "Trier ist inzwischen ein einziger Puff", sagt Gabi. Und: "Es war ja klar, dass dann wieder Krankheiten auftreten."Die Geschäftsfrau freut sich daher über ein seit Herbst 2012 existierendes und in der Region einzigartiges Angebot des Trie-rer Gesundheitsamts: Eine Gynäkologin, eine praktische Ärztin und eine Sozialpädagogin bieten Sexarbeiterinnen auf freiwilliger Basis kostenlose Untersuchungen und Beratung an. Gezielt suchen sie die Frauen in den Clubs oder auf der Straße auf, um sie mit Hilfe eines Flyers auf ihr Angebot und auf die Risiken ihrer Arbeit hinzuweisen.


Und offenbar ist das in vielen Fällen auch bitter nötig. Wissen die jungen, oft aus Rumänien und Bulgarien stammenden Frauen nach Auskunft der Gynäkologin Barbara Noldin-Bretz doch in vielen Fällen nur sehr wenig über gesundheitliche Risiken oder auch Verhütung. Das zeige nicht nur die Diagnose un gewollter Schwangerschaften. Sondern auch die Tatsache, dass von den knapp 30 Frauen, die sich bisher haben untersuchen lassen, mehrere unter sexuell übertragbaren Krankheiten wie Hepatitis oder Syphilis litten.
Auch Zahlen aus einer statistischen Erhebung des Robert Koch-Instituts zeigen, dass die zuvor fast ausgerottete Syphilis wieder auf dem Vormarsch ist: 2011 seien in Deutschland 3698 Neuerkrankungen erkannt worden (93,6 Prozent Männer, 6,4 Prozent Frauen) - fast 22 Prozent mehr als 2010.HIV Frage der Zeit


Bis in der neuen Sprechstunde des Trierer Gesundheitsamts auch Tripper oder HIV diagnostiziert werden, sei es nur eine Frage der Zeit, sagt Noldin-Bretz. Ansteckungsgefahr besteht allerdings nicht nur für die Prostituierten und ihre Freier - deren Wunsch nach ungeschütztem Sex die Gynäkologin als verantwortungslos und gefährlich bezeichnet -, sondern auch für deren Partnerinnen.

Sie würde sich wünschen, dass mehr Prostituierte das Angebot des Gesundheitsamts nutzen und dass die Bordellbesitzer dies unterstützen. Das Wohlwollen Gabis hat sie schon. "Aber ich kann die Mädchen ja nicht zwingen, dahin zu gehen", sagt die Bordellchefin. Daher würde sie sich wünschen, dass es ganz wie "in den guten alten Zeiten" wieder eine Pflicht für wöchentliche Untersuchungen gibt.Extra

Die Freier: Insidern zufolge reisen Männer für einen Bordellbesuch oft aus einem Umkreis von etwa 300 Kilometern an - in der Hoffnung, dem Nachbarn nicht zu begegnen. Ein Teil der Freier kommt demnach aus Frankreich, Luxemburg, Belgien, dem Saarland, der Kölner oder Koblenzer Ecke in die Region Trier. Zur Klientel der Straßen- oder Wohnwagenprostituierten dürften auch Berufspendler zählen. Erforscht ist all das allerdings nicht. Der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zufolge suchen täglich 1,2 Millionen deutsche Männer Sexarbeiterinnen auf. Eine Umfrage des Magazins Playboy besagt, dass jeder zehnte Mann schon im Bordell war. Neun Prozent gehen wöchentlich und weitere 35 Prozent einmal im Monat. Schätzungen der Prostituierten-Organisation Hydra zufolge nehmen drei von vier Männern Dienste von Prostituierten in Anspruch. Die Sexarbeiterinnen: Die Bundesregierung schätzt, dass es etwa 400 000 Sexarbeiter gibt, von denen 95 Prozent Frauen sind. Nach Auskunft der rheinland-pfälzischen Prostituierten-Beratungsstelle Roxanne arbeiten fast alle freiberuflich. Sie mieten sich in den Bordellen nur für eine gewisse Zeit ein - meist für ein oder zwei Wochen - und machen dies über Annoncen oder den Wochenplan des Bordells bekannt. Schätzungen zufolge kommen 70 bis 80 Prozent der im Land tätigen Prostituierten aus Osteuropa. Bis vor einigen Jahren vor allem aus Polen oder Tschechien. Inzwischen arbeiten in der Branche sehr viele Bulgarinnen und Rumäninnen. kahExtra

Das Risiko, sich bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit dem HI-Virus oder anderen sexuell übertragbaren Krankheiten zu infizieren, ist hoch. Deutlich geringer ist nach Auskunft von Barbara Detering-Hübner von der Aidsberatung im Trierer Gesundheitsamt die Gefahr, sich bei ungeschütztem Oralverkehr mit HIV anzustecken. Denn die Schleimhaut im Mund sei besonders robust. Der Körper verschließe kleine Wunden dort schnell. Dennoch rät die Expertin zum Gebrauch von Kondomen. Schließlich sind auch andere Krankheiten übertragbar. kah

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